Die große Toilettenpapierkrise

Gabriele Schneider

von Gabriele Schneider

Story

Fast ein Jahr ist es her, dass die große Klopapierkrise das Land, in dem ich wohne, erfasste. Von einem Tag auf den anderen gab es nirgendwo mehr Toilettenpapier, es wurde zur begehrten Mangelware. Manche Leute hatten in Keller, Garage oder Dachboden noch beizeiten palettenweise Klorollen gehortet. Und es gab solche wie mich. Die Bestandsaufnahme verriet: Zwei Rollen Klopapier. Wohlgemerkt zwei Rollen, nicht zwei Zehnerpacks. Wie sollte das gehen bei zwei Personen? Servietten und anderes Papier war als Ersatz unbrauchbar. Sollten wir Bekannte anbetteln, wo doch jeder bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonte, selbstverständlich nicht zu den selbstsüchtigen Hamsterern zu zählen? Dann doch lieber die Pobacken zusammenkneifen oder statt Papier einen feuchten Waschlappen verwenden. Jeden Tag las ich verzweifelte Horrormeldungen: „Bei Rewe kein Klopapier“, „Bei Penny leere Regale“, „Aldi hat nichts“. Allerdings, als unsere letzte Rolle nur noch ein Drittel ihres Papiers enthielt, kam über irgendeinen Internetkanal die Nachricht, ein Laden in der Nachbarstadt habe am Vormittag gleich palettenweise Toilettenpapier geliefert bekommen. Das Geschäft verkaufe es ohne jede Bezugsgrenze, und wer gleich drei Säcke nehme, bekäme einen Sonderpreis. Von der Klopapierkrise noch nicht vollkommen demotiviert, fuhr ich erst am folgenden Nachmittag ins Toilettenpapier-Paradies. Wieder einmal konnte ich mich aber nicht dem allgemeinen Hamstertrend anschießen. Mir genügten zwei Säcke, also immerhin 20 Rollen. Und diesmal behielt ich Recht: Nicht einmal eine Woche später waren die Klopapierregale wieder gefüllt. Der erste Zehnerpack war da schon fast aufgebraucht, denn wie sich zeigte, war in dem fernen Land, das die Rollen hergestellt und netterweise unserem Land zur Verfügung gestellt hatte, zwar nicht am guten Willen, aber doch minimal an Qualität gespart worden. Die Rollen waren sehr locker gewickelt, verbrauchten sich darum in Windeseile. Aber es war Klopapier! Da die Regale nun wieder regelmäßig befüllt wurden, kam seither der neue Zehnerpack im Keller immer wieder auf der zweiten Krisenpackung zu liegen. Klar, dass bei Nachschub-Bedarf immer die oberste Packung in den Sanitärbereich wechselte. Doch gestern passierte das Unvermeidliche. „Du, beim Toilettenpapier sollten wir echt nicht sparen, die neuen Rollen sind nicht so gut“, sagte mein Vater. Ich musste schmunzeln, denn im Abroller in der Toilette meines Vaters baumelte eine der Krisenrollen aus dem zweiten Zehnerpack der großen Toilettenpapierkrise.

© Gabriele Schneider 2021-02-08

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