von Mo Bundt
Ein grauer Tag – leichter Regen, fünf Grad. Auf geht´s mit dem Zug in die Stadt! Ich plane zuerst einen Weg ins Amt der Bezirkshauptmannschaft und dann ein Treffen mit einer Freundin im Café W. in der Franz Josef Strasse. Auf dem Kopf sitzt meine neue selbst gestrickte grüne Wollmütze, sie sollte heute noch zweimal eine Rolle spielen.
Das Amt liegt in Sichtweite des Bahnhof-Ausgangs, ein Fußweg von drei Minuten entlang einem langgezogenen Kaufhaus. Ich kämpfe mit dem Regenschirm gegen den Wind und erreiche die Ecke des Gebäudes. Im selben Moment kommt ein großer, breitschultriger Mann um die Ecke – wir stehen uns direkt gegenüber. Er sieht über mich hinweg, geht geradeaus weiter und rammt mich mit voller Wucht.
Ich falle gegen die gläserne Kaufhaus-Fassade und rutsche zu Boden. Verdutzt rapple ich mich hoch, klaube meine Mütze auf, greife nach dem Schirm.
„Halt!“ rufe ich „Bleiben Sie stehen! Halt! Was fällt Ihnen ein!“ Der Mann setzt seinen Weg mit gemessenen Schritten fort, am linken Arm baumelt ein Billa-Sackerl. „Halt! Drehn Sie sich um! Sie Flegel!“ rufe ich ihm nach. In der Bibel heisst es, „Wenn dir jemand auf die linke Wange schlägt, halte ihm auch die rechte hin“. Es heißt aber auch „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ In mir steigt eine heisse Empörung über das Geschehene auf! Soll der Mann einfach davon-kommen? Wie könnte ich ihn stellen? Ich laufe ihm nach, senke den Schirm und stoße die Schirmspitze in seinen Rücken.
Nun dreht er sich um und ich blicke in das graue faltige Gesicht eines Fünfzigjährigen. Er schaut mit unbewegtem Ausdruck auf mich herunter, hebt kurz seinen rechten Arm und versetzt mir einen wuchtigen Faustschlag auf den Oberkopf. Kein Wort ist gefallen, er dreht sich um und geht weiter.
Der Schlag zieht mir die Füße weg, ich falle seitlich auf den nassen, schmutzigen Boden. Eine Frau kommt gelaufen und hilft mir aufzustehen. Ein Mann sammelt Mütze und Schirm ein.
„Halt! Polizei! Halten Sie den Mann!“ rufe ich. Drei dünne junge Schwarzafrikaner verschwinden im Kaufhaus. Zwei Taxler, die in Sichtweite stehen, schauen kurz her und setzen ihre Unterhaltung fort. Menschen gehen uninteressiert an mir vorbei. Was tun? Die Polizei anrufen?
Ich stehe verdattert und hilflos für einige Momente und blicke dem Übeltäter nach, der jetzt in der Bahnhofshalle verschwindet. Langsam setze ich meinen ursprünglichen Weg fort und erledige mein Amtsgeschäft.
Die Freundin im Kaffeehaus blickt mich nach der Erzählung des Abenteuers mit strengen Augen an. „Mit der Schirmspitze jemand in den Rücken stechen?“ Sie schüttelt den Kopf: „Das würde ich niemals tun!“
Bei der Heimfahrt im Zug setze ich die grüne Mütze ab und betaste meinen schmerzenden Kopf. Dann die Erkenntnis: Er hätte mit der Faust auch Augen, Nase, Zähne erwischen können.
Glück gehabt.
© Mo Bundt 2020-01-11