DIE HAGEBUTTE UND DER ROTE SCHUH

Sigrigel

von Sigrigel

Story

Ich weiß nicht, ob Rapunzel von Hagebuttensträuchern umgeben war, als sie im Turm eingeschlossen ihr Lied trällerte. Jedenfalls die Hagebuttensträucher gehörten ins Reich der alten Zauberin, die unweit des Turms ihr Anwesen hatte.

Sie wusste nichts von der Existenz Rapunzels. Eines Tages berührte sie wieder einmal ihre Hagebuttensträucher , sah ins Dickicht und fand – einen roten Schuh. Sie nahm ihn in die Hand, ihr Blick veränderte sich, als sie erstaunt hörte, dass er leise summte. War es wirklich der rote Schuh, der summte?

Sie wackelte skeptisch mit ihrem Kopf, als sie plötzlich von einer roten Hagebutte am Kopf getroffen wurde. Sie sah sich um, sah aber niemanden. Sie hob ihren Blick – und sah entfernt ein turmähnliches Gebilde mit einem hohen Fenster, worin sich goldenes Haar spiegelte.

Der Summton, er kam von dort ! Die Zauberin, die eigentlich vorhatte, blutrote Hagebutten zu sammeln, um daraus frischen Tee und Salben zuzubereiten, war abgelenkt. Sie schlurfte in großen Schuhen mit dicken grauen Wollsocken, da sie nicht mehr die Jüngste war, in Richtung des Turmes. Stellte sich vielsagend darunter und rief: „Wer da, der meine Ruhe in den Hagebutten stört?“

Von oben schallte es herunter: „Ich bin es doch, Rapunzel, lange schon war ich ungehört! Komm zu mir und befrei mich aus meiner Einsamkeit“ und ein leises Schluchzen drang an die sensiblen Ohren der alten Zauberin.

„Der Prinz, auf den ich jahrelang gewartet habe, ist nicht gekommen. Ich glaube, ich lebe im falschen Jahrhundert, heutzutage gibts das nicht mehr!“

Die Zauberin nahm den roten Schuh und schleuderte ihn nach oben. Sogleich wurde die kaminrote Leiter heruntergelassen, an welcher sich die Zauberin, schon etwas weh in ihren Knochen, emporhantelte.

„So was Dummes, muss die aus Sisal sein, meine zarten Hände, die täglich Obst und Gemüse schälen, werden ja beschädigt. Wem fällt so etwas ein, eine Leiter aus rotem Sisal?“ schimpfte sie, ließ sich jedoch nicht von ihrem Weg abbringen. So gelangte sie endlich ins Turmzimmer von Rapunzel, die dabei war, ihren kaminroten Mantel auszuziehen.

Die Zauberin erblickte in ihr einen Anteil ihrer eigenen verlorenen Jugendjahre.

Sie hielt einen Moment inne und eine Träne schlich sich über ihre runzeligen Wangen, die von der Anstrengung der Turmerklimmung glühten. Der jugendliche Anblick Rapunzels und ihre Sanftheit berührte sie und sie nahm Rapunzel um ihre zarten Hüften und begann mit ihr im Turmzimmer fröhlich zu tanzen.

Dazu raunte sie ihr zauberhaft ins Ohr: „Komm, wir singen gemeinsam ein Lied, vom Leben und vom Sterben und vom Zusammenkommen unter uns Frauen“.

Wir wissen nicht, wie lange sie tanzten, wir wissen nicht, wie lange sie zusammen lebten?

Wir wissen nur, dass die Hagebutten mit den Jahren den Blick auf die beiden nicht mehr frei gaben, darum spielt der Prinz in dieser Geschichte keine Rolle mehr, und wenn sie nicht gestorben sind, so tanzen sie noch heute verträumt:

eins – zwo- drei – drehen, taramtitaaa

© Sigrigel 2020-03-25

Hashtags