Die hellste und längste Nacht

Nadine Krause

von Nadine Krause

Story
Island


Ich dachte, Sarah würde wahrscheinlich auch ihr Unterbewusstsein auf Überwachungsmodus gestellt haben und die plötzliche Stille im Raum als Alarmzeichen wahrnehmen, um mir dann auf die Schliche zu kommen. Meine Anspannung war immer noch enorm, als mich Lilja in dem Moment von hinten ansprang. »Mann spinnst du!«, fuhr ich sie mit zornigem Gesicht auf Deutsch an. Lilja blickte mich entgeistert an und es tat mir unglaublich leid, sie so angezischt zu haben. Ich schaltete wieder automatisch um auf Englisch. »Tut mir leid, ich hatte immer noch die Vermutung, dass meine Schwester gleich meckernd aus der Hütte stolpert. Ich hab noch gar nicht mit dir gerechnet!«, sagte ich versöhnlich und legte wie von selbst meine Hand auf ihre Schulter. »Ich habe doch gesagt, ich warte hier. Schon ok. Ich habe eine perfekte Stelle für uns entdeckt. Komm mit!«, sagte sie und nahm wie selbstverständlich meine Hand. Wir kletterten einen mit Gras bewachsenen Berghang hoch. Nach ein paar Minuten zeigte Lilja stolz eine Art Halbhöhle im Berghang. »Es ist hier windgeschützt und trotzdem haben wir Blick auf den Himmel!«, sagte sie aufgeregt. »Ja, sieht gut aus!«, sagte ich, war aber verärgert, dass sie bei meiner Idee wieder das Steuer übernahm und alles lenkte. Das haben dominante Menschen nun mal so an sich. Dass ich so dachte, behielt ich aber für mich. Wir bauten unser Lager aus Isomatten einer Wolldecke, Schlafsäcken und Kissen. Sogar eine Wärmflasche hatte ich gemacht und legte diese ans Ende unserer Schlafsäcke. Als wir nach lange Hin und herdrehen endlich eine bequeme Position gefunden hatten, gab es einen unglaublichen Blick in den blaugrauen Himmel. Erst jetzt fiel mir ihre Halskette auf. Ein Lederband, an dessen Ende befand sich ein blau-grüner Edelstein. Er hatte metallische, irisierende Farbverläufe und war außergewöhnlich. So einen hatte ich noch nie gesehen.» Was ist das für ein Stein?« fragte ich Lilja. » Ein Labradorit. Ein Heilstein. Meine Mutter hat ihn mir geschenkt. Er soll Klarheit verschaffen und den Träger mit dem Universum verbinden. In schwierigen Situationen kann man innovativ denken und handeln. Außerdem soll er die Intuition stärken!«, erklärte Lilja ruhig. »Glaubst du daran, mit dem Universum verbunden zu sein?«, fragte ich. »Klar, das ist eine logische Tatsache, mit der du dich mal beschäftigen solltest!«, lächelte Lilja. Wir hörten das Rauschen vom Wasserfall, der noch hinter dem Berg lag. Es war ein unglaublich beruhigendes Gefühl und ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so wohlgefühlt zu haben. »Was ist das eigentliche Abenteuer? Das Schlafen oder das Wachbleiben?«, fragte Lilja. Ich glaube, es ist eher die Tatsache, es durchzuziehen und hierzubleiben. Ob wir schlafen oder wach bleiben, ist ganz egal. Wichtig ist, was es in uns auslöst. Ein Abenteuer ist doch etwas, was man nur mit dem ersten Schritt macht, oder? Wie einen Stein, den man von einem Berg hinunterstößt und beobachtet, was passiert. Lass uns einfach morgen früh feststellen, was das Beste daran war.


© Nadine Krause 2024-03-05

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Emotional, Inspirierend