Die Hochzeit der Schildkröte

Der Wasserdrache Arion schwebte über den rauschenden Meereswogen und genoss die Schönheit des Sonnenuntergangs. Als die letzten funkelnden Lichtperlen auf der Gischt verschwanden, bemerkte er etwas Ungewöhnliches. In der pechschwarzen Dunkelheit des Wassers schimmerte grünlicher Glanz. Staunend öffnete Arion sein Fangzähne gespicktes Maul und seufzte. Eine riesige grüne Schildkröte tauchte gemächlich durch das Wasser und verwirbelte dabei kleine Leuchtalgen, welche diesen märchenhaften Glanz verbreiteten. Er glitt elegant ins Meer hinein und grüßte die Schildkröte. “Ich bin Arion. Darf ich deinen Namen erfahren?” Die Schildkröte nickte freundlich und sprach: “Man nennt mich Placida.” Arion lächelte. Auch ihre Stimme war wunderschön, gelassen und beruhigend. “Sag Placida, hast du einen Gefährten?” Die Schildkröte reagierte nicht und blickte Arion nur sanft an. Er aber ließ sich nicht entmutigen. “Wenn du meine Gefährtin sein willst, erfülle ich dir jeden Wunsch!”, versprach der Drache. Während die Nacht sie umfing, schien Placida über das Angebot des Fabelwesens nachzudenken. Schließlich antwortete sie ruhig: “Willst du dir keine Drachendame suchen, die mit dir durch die Gischt sausen kann? Ich kenne nur die Stille des tiefen Meeres und die Sorge um das Gleichgewicht. Ich kann dir nichts bieten.” Doch Arion zeigte sich fest entschlossen: “Ich will dir die herrlichsten grünen Smaragde zur Zierde deines Panzers beschaffen und das köstlichste Seegras soll allein für deinen Genuss wachsen!” Placida schüttelte den Kopf. “Eitelkeit und Selbstsucht, das willst du mir anbieten?” Arion staunte. Eine Drachin hätte eine solche Aussicht entzückt. “Nun, wenn dir das nicht zusagt, will ich dir die Herrschaft über die 7 Meere verschaffen! Alles soll deinem Willen unterstehen und dir zu Diensten sein.” Placida senkte traurig den Kopf. “Größenwahn und Machthunger… wie schade. Offenbar haben wir nicht dieselben Vorstellungen von Glück.” Die Schildkröte wendete und schwamm davon. Arion blieb verblüfft und traurig zurück.

Einige Wochen später weidete Placida an einem geschützten Fleckchen Seegras ab. Als sie aufblickte, kam ihr der Wasserdrache entgegen und grüßte sie. “Hallo Arion, wie geht es dir?”, erkundigte sich Placida freundlich. Der Drache murmelte etwas Unverständliches und hielt ihr ein Geschenk hin. “Eine Kette aus meinen schönsten Schuppen.” Die Schildkröte freute sich. “Wunderschön! Ich danke dir.” Arion neigte sein Haupt und sprach: “Du hattest recht, ich habe dir nichts von wirklichem Wert angeboten. Deshalb bin ich heute hier, um dir meine aufrichtige Liebe, meine Zeit, meinen Beistand und meine Treue anzutragen.” Placida vergoss vor Rührung ein paar Tränen. “Lieber Arion, das sind die kostbarsten Geschenke der Welt. Ich biete dir dasselbe an und freue mich, auf unser gemeinsames Leben!” Glücklich hielten die beiden Hochzeit und schwammen fortan Seite an Seite durch das Meer.