von Ulrike Sammer
Ibiza war schon immer von einer mystischen Atmosphäre umgeben. Die kulturelle Vielfalt der Völker, die hier gelebt haben, hat zu einer Verschmelzung unterschiedlicher Traditionen und Kenntnisse geführt.
Einige Wolken zogen auf. Das versprach, dass es nicht ganz so heiß für unsere geplante Wanderung sein würde.
Wir erfuhren, dass unweit unserer schönen, kleinen Bucht San Vicente de sa Cala der Aufstieg auf den Berg zu der Höhle der wichtigsten Kultstätte der Göttin Tanit sei. Dieser Grottentempel Es Culleram wurde erst 1907 entdeckt. Tanit war die phönizische Göttin der Fruchtbarkeit und die Hauptfrau des Baal Hammon. Ursprünglich war sie eine niedere Gottheit, löste aber mit ihrem Gemahl im 5. Jh. v. Chr. Astarte und Melkart, die Hauptgötter der Punier, ab. Tanit wurde bis zum Untergang der phönizischen Kultur verehrt. Die Römer setzten sie mit ihrer Hauptgöttin Juno, die Griechen mit der Jagdgöttin Artemis gleich. Besonders lange hielt sich die Tanit-Verehrung auf Ibiza, wo sie von der Inselbevölkerung bis zum 2. Jh. verehrt wurde.
Da mussten mein Mann und ich unbedingt hin!
Es wurde eine schweißtreibende, aber doch sehr lohnende Wanderung von drei Stunden.
Die Angaben einer Rezeptionistin unseres Hotels waren sehr vage, trotzdem fanden wir mit Glück den Einstieg in einen steilen Waldweg. 150 Höhenmeter ging es hinauf. Obwohl wir weit und breit allein waren, gab es Zeugen von früheren Pilgern: gelegte Steintürmchen, bunte Streifen und andere Opfergaben, die ins Geäst gehängt wurden und ein seltsames, steinernes Reinigungsbecken mit Abflussrinnen. Auch mein Mann und ich knüpften Streifen in die Zweige am Wegesrand. Der Wind soll unsere Wünsche in die „Anderswelt“ bringen.
Oben angekommen war die Höhle zu unserer Freude und gegen alle Informationen offen. Ein nettes Mädchen mit einer Taschenlampe zeigte uns alles: Die Kultstätte ist die größte im Mittelmeerraum und besteht aus drei Bereichen: einem Außenbereich, in dem die Opfergaben dargebracht wurden, einem zentralen Bereich, in dem sich die Göttin befand und schließlich dem am tiefsten gelegenen Bereich, in dem die Asche der Opfergaben aufbewahrt wurde. Dieser Tempel beherbergte 600 vollständige Terrakottaskulpturen und mehr als 1.000 Köpfe und Fragmente anderer Skulpturen. Der Großteil dieser Figuren stellt Tanit in Form einer weiblichen glockenartigen Figur dar. (Das ethnographische Museum beherbergt die älteste Büste der Göttin, die auf der Insel gefunden wurde). In einem größeren Raum mit einem Altartisch und in kleinen Nischen waren die Fundstellen zahlreicher Opfergaben und kleiner Figuren. Rundherum waren schöne Tropfsteine.
Mein Pendel zeigte mir, dass es an diesem Platz eine besonders starke Energie gibt!
Unsere Führerin erzählte uns, dass es noch heute viele Frauen auf der Insel gibt, die als einen der Vornamen „Tanit“ haben.
In absoluter Backofenhitze kehrten wir erschöpft, aber bereichert zurück.
© Ulrike Sammer 2022-10-15