von Sarah Wustinger
Ich weiß nicht, wann es begonnen hat, dass ich sie brauchte. Vielleicht war es ein schleichender Moment, so einer, den man erst erkennt, wenn man zurückblickt. Aber jetzt ist es klar. Ich brauche sie. Diese kleinen stacheligen Wesen zwischen den Grashalmen. Nicht, weil sie laut wären oder spektakulär. Sondern, weil sie einfach da sind. Und weil sie mich erinnern, was es heißt, einfach nur zu sein.
Am Nachmittag, gehe ich durch den Garten. Es ist mein stilles Ritual – kein Muss, sondern ein Wollen.
Drei Futterhäuser sind es. Ich befülle jede Schüssel bis über den Rand mit Soldatenfliegenlarven und fülle die Wasserschüsselchen frisch auf. Manchmal rede ich dabei mit mir. Oder mit ihnen. Vielleicht ist das für viele komisch, aber es fühlt sich für mich nicht seltsam an. Sie hören mir besser zu als viele Menschen. Ich denke oft darüber nach, was es heißt, gebraucht zu werden, wenn man selbst manchmal nicht viel hat. Manche Tage geben mir nicht viel – weder Kraft, Klarheit, noch Richtung. Aber dieses Ritual, am Nachmittag, gibt mir etwas zurück. Ein Gefühl von Sinn, das nicht laut sein muss.
Am Abend, wenn die bunten Garten-Lichter langsam anspringen, setze ich mich raus.
Mein Platz auf der Terrasse ist immer derselbe. Die Decke liegt bereit. Der Mückenspray steht bereit.
Und ich? Ich bin auch bereit. Nicht auf ein Spektakel. Einfach nur auf ein Rascheln. Ein Zeichen, dass ich nicht allein bin.
Wenn sie dann kommen, so flüchtig, dass ich den Moment fast verpasse. Ein Hauch. Ein Laut. Manchmal nur ein flüchtiger Schatten. Und doch klopft mein Herz jedes Mal ein bisschen schneller.
Da sind sie. Schnell. Vorsichtig. Und irgendwie mutiger als wir alle. So zielstrebig. So leise. So entschlossen und zielsicher, denn sie kennen die Wege.
Manche von ihnen kenne ich. An Zufall glaube ich nicht. Nicht bei ihnen. Einige von ihnen habe ich aufgepäppelt. Sie lagen in meiner Hand, kaum ein Atem, kaum ein Gewicht. Und jetzt – sie sind wieder hier, nachdem ich sie wieder der Natur zurückgeben konnte. Sie erinnern sich. Ich spüre es und sie spüren es auch. Ich frage mich manchmal, ob sie wissen, wie viel sie mir bedeuten. Ob sie spüren, dass ich nicht nur für sie da bin, sondern durch sie auch für mich. Dass sie mir Halt geben, während ich ihnen Schutz biete. Vielleicht ist das eine eigene Form von Liebe. Liebe zu den stillen, unscheinbaren, fast schon vergessenen.
Ich beobachte sie. Wie sie kommen und gehen. Wie sie in den Futterhäusern schmatzen und dann vorsichtig im hohen Gras das Weite suchen. Ich bleibe. Nicht, weil ich muss, sondern weil ich will.
Hier draußen, zwischen den bunten Lichtern meines Gartens und dem tiefen Schwarz des Sternenhimmels, fühle ich mich klarer als an so manchen hellen Tagen. Vielleicht ist es, weil niemand etwas von mir erwartet.
Weil ich nichts sagen muss. Weil ich einfach sein darf.
Ein Mensch. Eine Hüterin.
Ich bin viele. Und ich bleibe.
© Sarah Wustinger 2025-04-30