von Sonja M. Winkler
Über eine Freundin, die im Schloss Schönbrunn arbeitet, bin ich zu einem Sitzplatz mit ausgezeichneter Sicht auf die Bühne gekommen. Sie selbst war für den Abend leider verhindert.
Hast ihn erkannt, den Elmayer, fragt mich G., der spontan als Begleiter eingesprungen ist, als wir kurz nach 19 Uhr auf dem Weg zu unseren Plätzen sind. Ich drehe mich um. Thomas Schäfer-Elmayer wird gerade interviewt. Zum dunklen Anzug trägt er robuste Sportschuhe mit heller Sohle. Passendes Schuhwerk, denn die Pfützen auf dem Kies sind noch nicht aufgetrocknet. Am Nachmittag hat es geregnet.
A clear commitment to human rights, so lautet das Motto des Sommernachtskonzertes 2023. Die Wiener Symphoniker haben französische Komponist:innen ausgewählt. Den Auftakt macht eine Suite aus „Carmen“. Ich blicke immer wieder nach oben zu den drei quer über den Schlosspark gespannten Seilen, auf denen ein schwarzes Ding auf und abgleitet, mit leisem Surren, alle viere von sich gestreckt, wie ein faules Tier. G. flüstert mir ins Ohr, das ist eine CAMCAT. Die Kamerakatze legt gerade eine Rast ein und versetzt die drei Seile in ein kaum merkliches Schwingen. Ich stell mir vor, Kätzchen braucht eine Verschnaufpause. Das Tanzen auf den Seilen ist anstrengend, die Choreografie will gelernt sein, vor, zurück, zum Rhythmus der Musik. Wenn die Geigen einsetzen, erwacht die Katze wieder zum Leben, hat vermutlich Funksignale über ihr einziges Schnurrhaar erhalten, gleitet nach vorn, schwenkt ihr Kameraauge zum Orchester mit Zoom auf den kanadischen Dirigenten.
Die CAMCAT ist schuld, dass mir plötzlich die Erni einfällt, eigentlich nur wegen des Namens Riha. Georg Riha, der Erfinder der CAMCAT.
Erni, eine lebenslustige Kärntnerin, lernte ich bei einem Alleinerziehertreffen kennen. Wir freundeten uns an und verbrachten im Sommer 1986 ein paar Tage in Villach, zwei alleinerziehende Mütter mit ihren Buben. Woran ich mich erinnere: Schon bei der Hinfahrt streikte Ernis Auto. Der ÖAMTC musste gerufen werden. Es war brütend heiß. Ich bekam tags darauf Zahnweh, ging zum Arzt und hörte zum ersten Mal das Wort Approximalfläche. Erni sprach viel von einem Mann namens Riha, aber ich habe vergessen, in welcher Beziehung sie zu ihm stand. War’s der Vater ihres Sohnes oder der verheiratete Liebhaber? Ich fürchte, das wird im Dunkeln bleiben. Hier in Schönbrunn ist es inzwischen auch dunkel geworden. Nach der Zugabe, ein Wiener Walzer, drängt alles zum Ausgang.
Als ich um 22.40 nach Hause komm, bemerk ich, dass die Live-Fernsehübertragung zeitversetzt ausgestrahlt wird. Die Wiener Philharmoniker sind noch mitten im Bolèro. Abermals seh ich das Schattenballett an der Fassade des Schlosses, das Highlight des Abends, abgesehen von der Goldkehle aus Lettland.
Meiner Mutter werd ich berichten, dass die von ihr geschätzte Mezzosopranistin zur Habanera einen violett-altrosa Blütentraum trug, und als sie die Arie aus der Oper „Sapho“ sang, war sie in schlichtes Schwarz gehüllt. Den letzten Auftritt bestritt sie in anthrazitgrauer Robe mit Cape-Effekt. Elīna Garanča sei in Bestform, war vorab angekündigt worden, aus ihrer Kehle fließe Gold.
© Sonja M. Winkler 2023-06-09