von Harald Klingler
In den Bergen Tirols hütete ich einst meine Schafherde. Still war es ringsum, und so saß ich, in Gedanken versunken, auf einem bemoosten Stein. Mein treuer Hund lag neben mir, blinzelte ab und zu in die Sonne oder schaute bittend zu mir auf. Der Nachmittag neigte sich schon dem Abend zu, und die Dämmerung mit ihrem bläulichen, ungewissen Licht brach an.
Da sprang plötzlich um mich eine Unmenge von Katzen herum.
Es gab da alle Arten: schwarze, weiße, getigerte und rot gefleckte, blauäugige Siamkatzen und andere mit grüner Iris. Mein Hund war aufgesprungen und er knurrte vor Angst. Die merkwürdigen Tiere, die alle einen sonderbaren Eindruck machten, hatten sich hier anscheinend zum Tanz versammelt. In ihrer Mitte war eine Katze, größer und schöner als die übrigen, die schien die Königin zu sein.
Die Katzen sprangen, hüpften und tanzten nach einem nur ihnen hörbaren Rhythmus. Sie schrien und miauten unentwegt und vollführten einen Höllenlärm. Nachdem ich dem wüsten Treiben eine Zeit lang zugesehen hatte, stand ich auf, nahm meinen derben Bergstock und näherte mich damit den springenden und schreienden Tieren. Ich holte aus und traf die Katzenkönigin mit einem kräftigen Schlag. Das schöne Tier miaute erbärmlich und blieb schwer verwundet liegen. Mit gesträubten Haaren und glühenden Augen umringten die Katzen ihre Königin, sie liefen im Kreis, immer schneller, immer enger, und auf einmal war der tolle Spuck so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war.
Zu meiner großen Verwunderung fand ich an derselben Stelle, an der die Katzen getanzt hatten, im Mondlicht einen abgehackten Finger, an dem ein Ring steckte. Ich erkannte das Schmuckstück sofort wieder. Die Frau meines Bauern hatte den Ring stets an ihrer rechten Hand getragen. Es fielen mir Geschichten von Hexen ein, wie sie an langen Winterabenden in den Spinnstuben erzählt wurden, und ich wusste auch, dass diese gefährlichen und unheimlichen Frauen gerne die Gestalt der Katze annahmen. Dann machte ich mich auf den Weg heim ins Tal. Als ich spät nachts dort ankam, flüsterte mir eine Magd zu, die Bäuerin sei schwer erkrankt und möchte mit mir sprechen.
Stockend und unter Tränen bat die Frau mich um die Rückgabe des Schmuckes. Es sei ein Zauberring, und sie versprach mir alles, was ich mir nur wünschen mochte.
Die Bäuerin war stets gut zu mir gewesen, und ich hatte keinen Grund, ihr zu schaden. Doch ich war ein Kind zu dieser Zeit, und meine Angst vor den Qualen der Hölle war zu groß. Ich wusste nun, dass seine Bäuerin eine Hexe war, und fühlte mich verpflichtet, dieser großen Sünderin zu helfen. So behielt ich den Ring. Ich zeigte den Ring dem Bauern am frühen Morgen und erzählte ihm alles. Nun begann der Bauer sich vor seiner Frau zu fürchten. Er beschuldigte sie der Hexerei und sie wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Nachtrag (H.K.): Diese Sage zeigt, dass die Welt zuweilen verrückt, irgendwie krank sein kann.
Selina, 14 Jahre
© Harald Klingler 2023-02-12