von Helga M. Stadler
Sie war meine erste. Mein erste, eigene Wohnung. Noch dazu mitten in Wien. Ich, naive 20, Madl vom Land und Studenten-Pendlerin an die Uni Wien. Zwei Jahre lang fuhr ich täglich 45 Kilometer von meinem Heimatort im Weinviertel zur Haupt-Uni am Dr. Karl-Lueger-Ring oder zu einem der verstreut liegenden Institutsgebäude im Neunten und zurück. Autofahrt zum Bahnhof – Schnellbahn nach Wien Mitte – U4, U2, Station Schottenring, endlich am Ziel.
Und damit war nicht nur das Orts-Ziel selbst gemeint, sondern auch mein persönliches Ziel, ein Studium in der Hauptstadt antreten zu dürfen. Keine Selbstverständlichkeit für ein Mädchen vom Land, bäuerlicher Herkunft, Mitte der 1980iger Jahre, dessen Eltern anfangs nicht einmal Matura für ihre Töchter vorgesehen hatten.
Aber da war ich nun. In meiner 50 qm großen Mietwohnung, Altbau, in einem ruhigen, begrünten Innenhof gelegen. Eine kleine, fast familiäre Wohneinheit mit nur acht Parteien, allesamt alteingesessene Wiener und jetzt ich, ein Neuankömmling, eine junge Zugeraste. Anschrift – Ziehrerplatz 4-5, mit Blick auf den Arenbergpark, Ecke Landstraße Hauptstraße. Inmitten einem der nobelsten Teile des 3. Bezirks. Was ich damals aber nicht wirklich realisierte, Hauptsache weg vom Elternhaus und Land-Mief, endlich die Freiheit und die unbegrenzten Möglichkeiten der Großstadt schnuppern dürfen.
Es war das Apartment im obersten Stock, ohne Lift, und für die älteren Verwandten jedes Mal eine körperliche Herausforderung, wenn es sie zu mir in den 3. Bezirk verschlug. Für mich aber die Erfüllung aller Träume. Den Zuschlag für die Wohnung bekam ich nur deshalb, weil sie in einem desolaten Zustand war – fehlendes Bad und WC inklusive – und die anderen Interessenten beim Besichtigen entsetzt die Nase rümpften.
Später informierte uns die Hausverwaltung, dass der vorige Mieter untergetaucht und es daher zur Zwangsdelogierung gekommen war. Was mich aber nicht weiter abschreckte sofort mit den Sanierungsarbeiten zu beginnen. Die erste Möblierung war karg und funktionell, aber egal, die ersten eigenen vier Wände –„My Home is my Castle!“
Einige Wochen später, ich hatte mich schon gut eingelebt, und kannte bereits die meisten Eigenheiten der Nachbarsleute, läutete es spätabends an der Tür Sturm. Blick durch das obligate Guckloch, zwei Polizisten in voller Montur. Mir fiel das Herz in die Hose. Ich öffnete.
Die beiden jungen Herren in Blau erkundigten sich nach meinem kriminellen Vormieter. Erstaunt bat ich sie rein, wir tranken Kaffee und plauderten über Gott und die Welt. Doch etwas verängstigt, versprachen sie mir, künftig auf meine Wohnung bzw. auf mich ein wachsames Auge zu haben.
Und sie hielten Wort. Der Vormieter ließ sich zwar nie blicken, die beiden Gesetzeshüter – meine neuen besten Freunde – besuchten mich auf ihren nächtlichen Rundgängen umso öfter, sodass die Nachbarn bereits begannen, über mich zu tuscheln.
Hab ich erwähnt, dass es echt fesche Kiberer waren?!
© Helga M. Stadler 2020-04-03