von JanGroenhain
Aufgewachsen bin ich nicht in der Stadt, nicht im Dorf, nicht in einer Siedlung. Sondern auf einem alleinstehenden Bauernhof, auf einem Hügel gelegen. Man kann auch sagen: in der “Oaschicht”. Der nächstliegende Hof lag und liegt immer noch 400 m entfernt, in der Luftlinie. Spielgefährten gab es, außer den eigenen Brüdern, nicht. Denn in der fernen Nachbarschaft gab es kaum gleichaltrige Kinder.
Aber dafür gab es am Hof unzählige andere Möglichkeiten. Unsere Spielplätze waren der Stall, der Heuboden oder der nahe Wald. Hammer, Säge oder Schnitzmesser waren immer greifbar. Mit Kühen, Schweinen, Hühnern und Katzen waren wir auf du und du. Es gab keine Bewegungsgrenzen. Den ganzen Sommer liefen wir nur barfuß. Das waren unschätzbare Werte.
Ein Telefon gab es noch nicht. Briefträger und Bäcker brachten zwar Neuigkeiten auf den Hof, aber nicht für uns Kinder. Zu hohen Feiertagen fanden Verwandtschaftsbesuche statt, aber die waren meistens nur langweilig. Damals gab es noch keinen Kindergarten im Ort. Unserer war der Bauernhof. Somit fand bis zum Schulanfang nur wenig Kontakt mit Gleichaltrigen statt.
Mit Beginn der Volksschule änderte sich das. Dort fand ich erste Freunde, Schulfreunde. Der Schulweg betrug drei Kilometer, der natürlich zu Fuß zu machen war, es gab ja noch keinen Schulbus. Auch im Winter, wenn manchmal die Straße noch nicht geräumt war.
Doch dann kam die Hauptschule, eine reine Bubenschule. Das Gymnasium kam für Mama nicht infrage. Denn das wäre nur was für die ganz Gescheiten, meinte sie. Jedenfalls hieß es dann pendeln in die Stadt, nach Ried. Eine kleine Stadt, für mich als behütetes Landei fast eine neue Welt. Wir Kinder vom Land waren überwiegend Bauernbuben und weniger selbstbewusst als die aus der Stadt. Die waren bald die An- und Wortführer, waren vorlaut und frech. Und ließen uns spüren, dass sie ein wenig besser wären. Ausgenommen bei den schulischen Leistungen.
In Ried gab es damals ein Forum-Kaufhaus, in der Nähe des Busbahnhofes. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Mit Rolltreppen konnte man zwischen drei Etagen wechseln. Das war lustig und eine beliebte Beschäftigung, während der Wartezeit auf den Postautobus. Ganz ohne lästige Fragen konnte man dort alles bestaunen. Dabei wanderte zufällig einmal ein Radiergummi in meine Hosentasche. Ein anderer beliebter Aufenthaltsort für mich war alsbald die Buchhandlung. Was es da alles zu schmökern gab!
Einmal kam ich aufgeregt nach Hause, weil ich das erste Mal einen Schwarzen in der Stadt gesehen hatte. Eine Sensation für mich. Ein anderes Mal sah ich einen LKW mit der Aufschrift MAN und ich glaubte, der würde aus Amerika kommen. Mein älterer Bruder klärte mich jedoch auf. Schließlich bestaunte ich in einer Auslage Damenunterwäsche. Als dann ein Schulkamerad aus der Stadt angeberisch mit einer „Bravo“ aufkreuzte und prahlte, heimlich Zigaretten zu rauchen, wurde meine heile kindliche Welt durcheinander gewirbelt. Aber die Neugier war geweckt.
© JanGroenhain 2022-02-17