Die kleinen Dinge

Florian Hauenschild

von Florian Hauenschild

Story

November. Die Tage werden kürzer und kühler. Obwohl ich diesen Umstand sehr liebe, kommen genau in dieser Zeit des Jahres meine depressiven Phasen wieder stärker zum Vorschein. Nächte ohne Schlaf, aber voller Gedanken warum man sich den ganzen Schwachsinn eigentlich noch antut. Was für einen Sinn hat das eigentlich? Die Leute werden wieder engstirniger. Die Welt liegt in den letzten Zügen, denn sie hat unglaublich hohes Fieber. Die eigene Zukunft ist ein Nebel, der nicht einmal einen Blick auf morgen gestattet. Also warum noch weiter?

Das sind die Tage, in denen die sprichwörtlich „kleinen Dinge des Lebens“ zum Tragen kommen. Zum Beispiel die erste Seite eines neuen Buches. Der Geruch des kommenden Neulands. Die Erwartung an das Große. Oder der erste Zug an einer frischen Zigarette aus einem gerade geöffneten Packerl. Ja, ich weiß, mein „Ich rauch nicht mehr“ Vorhaben ist dadurch verraten. Aber was soll’s, wenn man dem blauen Dunst so schön beim Verschwinden zuschauen kann? Ein herrliches Sinnieren. Oder der erste Zug an einem frisch geöffneten Bier. Gerade dann, wenn man wirklich durstig ist. Dieser angenehm prickelnd-herbe Geschmack, der sich durch die Speiseröhre zieht. Ich bin der festen Überzeugung, dass Bier ein Geschenk der Götter ist, wenn es sie gibt.

Ja, der Herbst ist nicht einfach, obwohl ich ein Herbstkind bin und diese Jahreszeit so schätze. Die Dunkelheit. Die Kälte. Nachts um halb drei, nach stundenlangem Schreiben. Die frische Luft, die einen munterer macht als es der stärkste Kaffee jemals könnte. Die folgenden fünf Seiten schreiben sich, nach ein paar Mal tief durchatmen, von alleine.

Und nicht zu vergessen, die vielen anderen kleinen Geschenke, die einem das Leben schenkt. Ein verständnisvolles Lied in einer dunklen Stunde. Ein warmer Tee oder Kaffee, der einen in den Arm nimmt. Und wenn das nicht mehr hilft, dann der Cognac oder Whiskey, der einen wärmt, auch an den kältesten Tagen. Das erste Tor deiner Lieblingsmannschaft. Der erste Ton einer großartigen Sinfonie. Das erste Wort einer neuen Geschichte, die du liest oder selber schreibst. Das Klackern der Tastatur oder Schreibmaschine. Die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster scheinen. Das Lachen der Leute, die du liebst. Eine Umarmung, die du nicht erwartest. Der Regen, der einen Vorhang in die Landschaft zaubert. Der Wind, der mit seinem Gesang betört und die Bäume quält. Sie verneigen sich vor ihm, aber brechen nur selten. So wie es an mir liegt niemals zu brechen. Das Leben wird mir immer wieder eine ordentliche Watschn geben. Meist dann, wenn ich es am wenigsten erwarte. Aber ich weiß mittlerweile, dass dann die kleinen Dinge da sind, die mich wieder aufrichten. Ich bin dankbar, dass ich das in den letzten Jahren gelernt habe. Denn das gibt mir die Sicherheit, dass ich nie wieder dorthin komme, wo ich war. Dort, wo nichts mehr einen Wert hat. Nicht einmal das Leben, obwohl es das wertvollste ist, das wir haben.

Es lebe das Leben!

© Florian Hauenschild 2019-11-09

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