Die Klofrau

WANABE

von WANABE

Story

Meine ersten Schulerfahrungen waren nicht berauschend. Ich war langsam im Denken, meine Finger steif und verkrampft. Eine Rundung zu malen, erforderte höchste Konzentration und war alles andere als geschmeidig. So ließ ich mein Schönschreibheft irgendwann in der Tiefe einer Lade verschwinden und gab Ahnungslosigkeit vor. All diese kleinen Geschichten brachten meine Eltern dazu meine Berufswahl förmlich vor ihren Augen zu sehen. Sie konfrontierten nicht nur mich damit, sondern hielten auch alle Freunde am Laufenden. Falls sie versuchten mich damit zu motivieren oder mir das Gefühl von Unzulänglichkeit zu vermitteln, lief das kräftig schief. Im Sommer waren wir am Wochenende häufig bei einem Heurigen mit Musik im wunderschönen Hunyadischlosspark. Wir Kinder tobten herum, kletterten auf die Bäume, spielten Verstecken und drehten uns im Kreis zur Musik bis wir schwindlig am Boden lagen. Eine unbeschreibliche Leichtigkeit beflügelte uns. Und genau hier studierte ich immer ausgiebigst die mir bevorstehende Zukunft im Berufsleben. Ich stand etwas abseits, damit mein Starren nicht zu offensichtlich auffiel. Sie trug eine weiße Schürze. Mit ernster Miene musterte sie ihre Kund:innen. Niemals sah ich sie lächeln. Sie saß auf einem hölzernen Stuhl, der für ihren breiten Hintern zu schmal war und vielleicht der Grund für den ernsten Blick. Schwerfällig erhob sie sich, wenn die Münzen auf dem Teller am kleinen Tisch mit dem blumigen Plastiktischtuch klirrten. Langsam ging sie voraus. Öffnete die Türe zum stillen Örtchen, wischte gründlich über die WC Brille und gab den Weg frei. Sie wurde sehr respektvoll behandelt. An diesem Ort herrschte eiserne Disziplin. Alle fürchteten die Konsequenzen, die drohen könnten, wenn man sich vordränge, nicht ausreichend Münzen dabei hätte oder die Toilette gar verschmutze. Ich bewunderte sie für ihre Ernsthaftigkeit und beschloss doch gleichzeitig eine fröhlichere und herzlichere Klofrau zu werden.

Wenn ich gefragt wurde, was ich denn später werden wolle, kam ich meinen Eltern oft zuvor. “Klofrau, so wie die Frau vom Schlossheurigen. Da hab ich immer genug Geld am Teller”. Ich konnte das Unverständnis im Gesicht meines Gegenübers weder deuten noch verstehen und so ergänzte ich einlenkend “nur nicht so streng”.

Wider Erwarten wurden meine schulischen Leistungen immer besser und ich musste aufgrund von Überqualifizierung eine andere Berufswahl treffen. Aber auch, wenn das für viele nun nicht ganz nachvollziehbar ist, fühle ich mich mit ihnen verbunden. Ein paar nette, wertschätzende Worte wechsle ich immer mit den Damen, die unsere Toiletten sauber halten. Die wenigsten sind so streng und ernsthaft wie SIE es war. Dennoch sorgen sie immer noch für Disziplin und Ordnung und das schätze ich sehr!

© WANABE 2022-11-01