von Jürgen Artmann
An einem warmen Sommertag besuche ich eine einfache Bierbar in Strasbourg. Die Außenterrasse besteht aus Biergarnituren, die auf den trottoir gestellt sind. Die Bar ist beliebt, es gibt verschiedene Biersorten und große Gläser. Da alle Tische besetzt sind, frage ich an einem Tisch, ob ich mich an der Ecke dazusetzen kann. Die beiden Männer nicken.
Nach dem ersten Bier fragt mich der eine auf Englisch, woher ich komme.
„Ich bin Deutscher˝, antworte ich, „wohne aber in Strasbourg.˝
„Ah, Deutscher˝, meint der, der mich gefragt hatte. „Wir kommen aus Spanien.˝
Er übersetzt meine Herkunft seinem Kumpel ins Spanische. Der verdreht daraufhin leicht die Augen. Er spricht kein Englisch und auch kein Französisch. Deutsch sowieso nicht. Ich spreche kein Spanisch. So muss unser Mittelsmann den ganzen Abend übersetzen.
Nein, sie leben nicht dauerhaft in Frankreich, erklärt mir der Erste. Sie seien für ein Bauprojekt nur für ein paar Wochen hier. Wenn das fertiggestellt ist, ziehen sie innerhalb Europas weiter. Zum nächsten Projekt des gleichen Auftraggebers.
Wir schwärmen noch ein bisschen über Strasbourg, die Schönheit der Stadt und was man hier alles unternehmen kann. Dann stellt der Zweite auf Spanisch seine erste politische Frage.
Was ich denn von Angela Merkel halte und der vor allem durch Deutschland geprägten europäischen Finanzpolitik.
Ich denke kurz nach, habe Merkel nie selbst gewählt. Ich antworte aber schließlich, dass ich sie eigentlich ganz gut und besonnen finde.
„Honestly, she is not a politician, she’s a scientist. That’s good. We will miss her.˝
Der Erste übersetzt. Der Zweite schüttelt den Kopf und macht eine abfällige Handbewegung. Merkel würde die anderen Länder viel zu stark unter Druck setzen. Griechenland musste leiden, und in Spanien finden junge Leute keinen Job. Und die, die es gibt, sind schlecht bezahlt. Sie selbst wandern deshalb über Wochen im Jahr durch Europa.
Was sie denn genau machen, frage ich sie. Sie sind Bauleiter, kommen immer dann, wenn die Arbeiten an einer Baustelle abgeschlossen werden.
„Und ich, ich bin Kommunist˝, sagt der Zweite auf Spanisch und mit Stolz im Ton. Er zeigt zur Unterstreichung des Gesagten auf sich selbst. Der Erste ist auch ein Kommunist, ergänzt er, nicht so doll wie der Zweite, aber im Grunde auch.
„Kommunist, interessant.˝ Echte Kommunisten hatte ich noch nie gesehen.
„Und für wen arbeitet ihr hier?˝, frage ich noch.
„Für Primark. Wir stellen den neuen Primark-Store fertig.˝
Ich stutze, wohne direkt neben der Baustelle. Das neue Gebäude verstellt meinen Blick auf das Flüsschen, das die Innenstadt umspült. Ich mag diese Billigkette gar nicht. Ich bin gespannt, wie die mit dem Lieferkettengesetz umgehen werden.
„Primark? Ihr seid zwei spanische Kommunisten, die für Primark arbeiten?˝
„Ja.˝ Beide zucken verlegen mit den Schultern und grinsen beklommen. „Ja, das klingt komisch, das wissen wir. Aber so ist halt das Leben.˝
© Jürgen Artmann 2022-05-06