Die Krux mit Wagner

Sandro Kaspar

von Sandro Kaspar

Story

Die Fahrt von Bern nach Bayreuth mit der Deutschen Bahn war eine schöne Odyssee. Dank der unzähligen Unterbrüche und Umleitungen konnte intensiv die Bayrische Landschaft genossen werden. Immerhin erreichte ich das Ziel mit vier Stunden Verspätung mit dem allerletzten Zug nachts um halb Zwölf. Aber das ist eine andere Geschichte*.

Am nächsten Tag stand die Oper ‘Tristan und Isolde’ an. Ich liess mir vom Hotel ein Taxi bestellen. Welch blutiger Anfänger in dieser Sache! Sämtliche Taxi-Unternehmen waren wegen dieses Anlasses seit Wochen ausgebucht. Keine Chance. Also zu Fuss los. Vor dem Hotel fielen mir zwei festlich gekleidete Damen auf. «Fahren Sie zum Festspielhaus? Ja? Darf ich mitfahren?» Ich durfte. Das war angenehmer als unter der glühenden Sonne bei 35 Grad im Schatten sich über eine halbe Stunde zu Fuss den Festspielhügel hinauf zu quälen.

Bereits vor Jahren besuchte ich eine Wagner Oper im Theater. Als das Licht im spartanischen Bühnenbild zusammen mit dem minutenlangen Sonnenuntergang langsam erlosch und dazu die endlose Musik immer leiser spielte, schlief ich ein. Aber das darf niemand wissen. Nein, ich bin überhaupt kein Wagner Fan. Doch zwei Sachen reizten mich.

Einmal das ganze Ambiente am Festspielhaus in Bayreuth erleben, die Atmosphäre des Anlasses spüren, die schicken langen Garderoben der Damen bestaunen, das war mein Wunsch. Dass an dieser Première die Crème de la Crème, Bayerns Spitzenpolitiker, bekannte Schauspieler aus Film und TV, ja sogar die ex Bundeskanzlerin erschienen, machte mich dann ziemlich klein. Ich, der ich immerhin einen schwarzen Anzug, mein bestes weißes Hemd und Krawatte trug anstatt Smoking mit Fliege, wie es sich offenbar gehört hätte.

Zum andern wollte ich die Architektur, die Gestaltung des Innenraums und vor allem dessen Akustik erleben. Der Konzertsaal wurde gebaut wie der Richard es wollte: Weg mit dem klassischen hufeisenförmigen Grundriss der damaligen Opernhäuser, weg mit den Logen, wo gesehen werden wichtiger war als zu sehen. Und weg mit dem offenen Orchestergraben. Weder Musiker noch Dirigent sind vom Zuschauerraum aus zu sehen, somit völlige Konzentration auf die Bühne, genial! Vielleicht ist die Ausgewogenheit zwischen Orchester und Gesang auch deshalb so perfekt. Wie ist es möglich, aus den kleinen Kehlen (aber kräftigen Leibern!) der Sängerinnen und Sänger derart mächtige Stimmen zu zaubern? Dank den vier Stunden Musik und Ambiente kam ich voll auf meine Rechnung, der Wunsch war in Erfüllung gegangen.

Als der grosse Applaus verstummte und alle aus dem Haus strömten, machte ich mich zufrieden auf den Weg zurück ins Hotel. Dass ich als einziger den Hügel hinunter spazierte schien mir logisch. Wer wollte denn in dieser Aufmachung und in dieser Hitze nicht mit dem Auto fahren? Mein Kopf, voll gestopft mit Eindrücken, realisierte zu spät, dass mein Abgang in einer Pause erfolgte und die Oper noch zwei Stunden länger gedauert hätte….

*Nachts um halb Zwölf

© Sandro Kaspar 2022-08-26

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