Die Kuh in der Bim

Maria Stern

von Maria Stern

Story

Letzte Woche fuhr ich mit der Straßenbahn vom Arzt nach Hause. Draußen war es heiß, drinnen war es heiß, da halfen uns die FFP2 Masken auch nicht weiter. Ich war ein wenig verstimmt, weil ich in der Früh vergessen hatte, meine Kopfhörer aufzuladen, also konnte ich mich nicht auch noch akustisch abschotten.

Im Augenwinkel nahm ich einen sitzenden Mann wahr, der mich unverhohlen musterte. An derartige Blicke gewöhnt, überlegte ich flüchtig, ob er mich als Ex-Politikerin erkannte oder wegen der Maske nicht sehen konnte, dass ich zu alt für ihn war, da sprach er laut und deutlich: “Sie sehen aus wie eine Kuh.”

Überrascht lachte ich auf: “Oh, dieses Kompliment hat mir noch niemand gemacht.” Die Umstehenden schauten uns an. Ihn ein wenig empört, mich ein wenig mitleidig. „Wie eine süddeutsche Kuh.”

Jetzt begannen auch die anderen zu lachen, denn es war klar geworden, dass der junge Mann in einer ganz besonderen Welt lebte. “Aha, und warum sehe ich aus wie eine süddeutsche Kuh?”

„Wegen der Maske. Ohne Maske würden Sie aussehen, wie eine durchschnittliche Schülerin der Modeschule Hetzendorf…”

Der Arzt hatte vor einer halben Stunde meinen Hormonspiegel betrachtet und mir mitgeteilt, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann. Ich schwankte noch zwischen der Freude, nie mehr verhüten zu müssen und der Trauer, nie mehr gebären zu können und dankte der Maske für die Vortäuschung ewiger Jugend.

“…aber die Maske sieht aus wie eine Kuhschnauze und Sie sind schwarzweiß gekleidet.” Ich blickte an mir herab. Tatsächlich: weiße Schlaghose, schwarzes Top, weiße Maske, schwarze Tasche, weiße Schuhe, schwarze Sonnenbrille: “Sind süddeutsche Kühe schwarzweiß?” “Ja. So wie Sie.”

Eine ältere Dame wollte dem jungen Mann freundlich erklären, dass man das so nicht sagen kann und es andere Worte gibt, jemandem ein Kompliment zu machen, da blieb die Bim stehen. “Alles gut”, sagte ich zu ihr: “die süddeutsche Kuh wünscht allseits noch ein schönes Leben!“

© Maria Stern 2021-07-06

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