Die Kunst des Einschlafens

Dir macht dein Herzschrittmacher einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Du hast in den letzten Jahren oft gesagt, dass du am liebsten einfach einschlafen möchtest. Müde sagst du, fühlst du dich oft und dass es einfach keinen Spaß mehr macht, jeden Tag mit vielen kleinen Gebrechen rum zu bekommen. Und gelebt hättest du auch, so richtig, so mit allem, was du machen wolltest und was „dazu gehört“. Und was dazu gehört, sich diese Zufriedenheit und deine Offenheit für die Welt beim Älterwerden zu bewahren, das kann ich hoffentlich lernen von dir.

Humor hast du auch. Bei unserem letzten Telefonat kamen wir aus dem Lachen beide nicht mehr heraus, als du feststellen musstest, dass ich gar nicht in deiner Wohnung war und du vergeblich von Raum zu Raum gegangen bist, um meiner Stimme zu folgen. Schade eigentlich, ich hätte die Kekse so gerne gegessen, die du extra für mich hergerichtet hattest. Es ist nicht leicht für dich, wenn du dann erkennen musst, dass du wieder weg warst, an einem Ort, wo du gar nicht sein wolltest. Du weißt nicht, wie du da hingekommen bist und wieso alle Anstrengung auch nichts nützt, sich dagegen zu wehren. Es ist wie Einschlafen, wenn man sehr, sehr müde ist. Es passiert einfach. Es zieht dich weg und du verstehst dann deine Welt nicht mehr. Und ich versteh sie auch nicht mehr.

Das dumpfe Klicken einer Uhr im Takt. Unaufhaltsam. Beruhigend oder verstörend – das liegt im Ohr des Zuhörenden. Viele Leute haben Probleme beim Einschlafen. Man muss loslassen, sich hingeben, treiben lassen in eine andere Welt, von der man ziemlich wenig weiß.

Ein paar Minuten später erzählst du mir verzweifelt, dass du dein Handy nicht mehr finden könntest. Als ich dich darauf hinweise, dass du es doch gerade am Ohr hast, höre ich dich wieder lachen. Ein schönes Geräusch, es steht dir gut! Leider ist es eine seltene Gesellin geworden.

Wenn es kurz hell wird um dich, lachst du oft und bist dankbar für große und kleine Dinge, optimistisch und lebensfroh, ganz die Alte, die Vertraute, die Freundin, die ich kenne. Diese Momente werden weniger. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du dich auf diesem Weg langsam von mir verabschieden würdest.

Vielleicht ist es einfach deine Art, einzuschlafen.