Die Kunst des Jausnens

Thomas Schützenhöfer

von Thomas Schützenhöfer

Story

Neidische Augen schauen zu mir, während das Messer durch den Käseblock gleitet. Stoisch rollt eine Gurkenscheibe über das Brettl und kollidiert beinahe mit den Weintrauben. Es ist Jausenzeit in Liebenau. Ein langer Schultag, leicht rot im Gesicht und jetzt Kürbiskernaufstrich. Es gibt eine vegetarische Variante, natürlich mit Bio-Brot. „Mah, es schaut so gut aus, magst ma nicht auch was richten?“ „Sicher, eh wie immer.“ Schelmisches Lächeln und dann wird der Laib angeschnitten.

Bei der folgenden Wecken-Reduktion und der anschließenden Bestreichung durchzucken mich Gedanken; Jausen-Gedanken aus fernen Städten.

Hamburg 2019, Fußballreise, oder kurz gesagt ein Bierausflug mit Gesprächen über das runde Leder. Spätabends, der Tag wurde zum größten Teil in der scharfen Ecke am Kiez zugebracht, meldet sich der Hunger. Vorbei an der Herbertstraße, runter zur Davidskirche und dann auf die Reeperbahn. Das blühende Leben, freundliche Sandler und endloses Leergut. Wir steuern einen Kebap an, der alle Stückln spielt. Aufgebaut wie ein Schnellimbiss, rotes Ledermobiliar und sogar Toiletten im Keller. Neben den unzähligen Astra-Knollen ist das angetoastete Fladenbrot ein Hochgenuss. Es trieft leicht auf der Seite, auf den Finger hängt ein wenig Rotkraut und der Mund ist voll. Jausnen am Kiez.

London 2016, Pärchen-Urlaub. Erschöpft und low budget quer durch Großbritanniens Perle, das heißt müde Beine und erschöpfte Augen. Abends pendelten wir dann immer durch die Gassen in der Nähe von Bayswater und Queensway, also im Herzen der schmalen Touristenburgen. Auf den Straßen die unterschiedlichsten Nationalitäten, was sich auch in den Imbissen widerspiegelte. Aber die herbeigesehnte Hausmannskost war nicht in Sicht – Alternativen sind gefragt. Frei nach „was der Bauer nicht kennt…“, empfing uns Pizza Hut mit offenen Armen. Eine fettige Pizza mit Käserand kennt man und stärkt. So eine Jause gehört für einen solchen Tag, schworen wir uns. Im Hotel dann die Erkenntnis, die Riesenscheibe liegt doch zu schwer.

Lyon 2016, Fußball-EM, vier Burschen und Ronaldo. Wales gegen Portugal, der Schönling schraubt sich hoch, es macht bumm und die Südländer jubeln. Abends in den Clubs waren es dennoch die Briten, mit denen wir uns überteuertes Bier teilten. Mit inbrünstigen Schreien und kaum verständlichen Sprüchen a la „They play with heart!!“, nahmen sie die Straßen der Großstadt ein. In den Morgenstunden endlich im Hotel wurde ich Zeuge eines Akts des Genusses. Ein Kumpel kramte aus seinem Rucksack ein grobes Schneidbrett, ein Messer, Schwarzbrot und Selchwürste hervor. Seelenruhig schnitt er dünne Scheiben auf, pikste sie mit der Messerspitze an und führte sie bedächtig zum Mund. Er teilte brüderlich, geniale Momente in der ranzigen Billig-Absteige.

Und eben jene letzte Episode kam mir auch gerade eben in den Sinn. „Du, hab ich da eigentlich schon amal erzählt, wie geil da Jürgi damals in Lyon gjausnet hat?“

© Thomas Schützenhöfer 2021-02-25

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