Die kurze Karriere eines Radrennfahrers

Hannes Stuber

von Hannes Stuber

Story

1972

Ins Gymnasium nach Gänserndorf pflegte ich täglich hin und zurück zu radeln. Später, mit sechzehn, fuhr ich mit dem Moped zum Bahnhof, um den Zug nach Wien zu nehmen. Eines schönen Frühmorgens im Mai krachte ich mit meiner auffrisierten Maschine in einer unübersichtlichen Kurve einer schmalen Straße frontal in ein entgegenkommendes Auto – ohne Helm. Das Moped war ein Totalschaden, ich nicht.

Ab nun, nachdem ich im Jahr darauf endlich fit war, fuhr ich wieder Rad. Und kam mit dem Gänserndorfer Radsportverein in Kontakt. Da ich gut in Form war, gewann ich die nächsten Jugendrennen. Mein Konterfei, umgeben vom Pokal und lokalen Prominenten, erschien ein paarmal in den Niederösterreichischen Nachrichten.

Ich erhielt einen Trainer aus Wien, der eine österreichische Radsportlegende war, weil er viel gewonnen hatte. Der alte Mann wollte mich für die Österreichrundfahrt trainieren. Er holte einen Jungen aus Wien, der beim nächsten Mal dabei sein sollte, auch um zu sehen, wie ich mich einem erprobten Rennfahrer gegenüber verhielt.

Das Rennen erstreckte sich über rund vierzig Kilometer und führte durch das östliche Weinviertel. Start und Ziel waren das Rathaus der Stadt. Da es zu Beginn durch mein Heimatdorf ging, dachte ich mir einen klugen Schachzug aus. Es war Sommer und heiß, kühles Wasser daher wichtig. Wenn ich mit der Wasserflasche zum Start in die Stadt radelte, war es warm, ehe es losging. Ich beorderte meinen dreizehnjährigen Bruder, in unserem Dorf mit der Flasche kühlen Wassers zu warten, wenn das Rennen hindurch preschte.

Wir starteten, kamen durch mein Dorf, aber vom Bruder war weit und breit nichts zu sehen. Er hatte übers Spielen auf mich vergessen. Verärgert musste ich weiter radeln, ohne irgendetwas zum Trinken zu haben. Das war nicht hilfreich.

Trotzdem hängte ich in einem Dorf, wo es lange und schnell bergab ging, das Feld ab. Nur dieser Wiener hielt mit und klebte aufdringlich an meinem Hinterrad. Wir sprinteten durch ein Dutzend Dörfer, und als es von Weikendorf nach Gänserndorf den Hügel hinauf ging, hatte ich den Wiener noch immer nicht abgeschüttelt. Seine Frechheit ärgerte mich, vom Windschatten-Fahren hatte ich als Landei noch nie gehört. Etwa zweihundert Meter vor der Ziellinie überholte mich dieser freche Bursche. Ich war fassungslos.

Als ich sah, dass ich ihn nicht mehr einholen konnte, ärgerte ich mich, und so bog ich fünfzig Meter vor dem Ziel in die Seitengasse ein, die zum Postamt führte, und radelte auf Umwegen nach Hause. Bislang hatte ich alle meine Rennen gewonnen, und dass ich nun Zweiter sein sollte, wo ich die ganzen vierzig Kilometer geführt hatte, das kam für mich nicht infrage.

Das war das Ende meiner kurzen Karriere als Radrennfahrer. Einige Wochen darauf machte ich den Führerschein, kaufte einen orangefarbenen VW-Käfer und stieg nicht mehr auf das Rennrad. Mein Trainer versuchte, mich umzustimmen, aber ich zog nach Wien, hatte meine erste Freundin und anderes im Sinn.

© Hannes Stuber 2020-09-03