Die Lautkette < Zuversicht >

Sepp Wejwar

von Sepp Wejwar

Story

Diese Geschichte dreht sich um ein Wort. Es fiel mir ein, als die Infektionszahlen in lichte Höhen schnellten und die Lockdowns immer strenger wurden. „Zuversicht“. Ich begann zu recherchieren. Erstes Ergebnis: die Häufigkeit seiner Nutzung ist seit Beginn des 17. Jahrhunderts kontinuierlich zurückgegangen, auf weniger als ein Viertel der damaligen Verwendung. Im 21. Jahrhundert erlangte die Verwendung des Wortes ihren vorläufigen Tiefpunkt. Also frage ich mich: Steht „Zuversicht“ vor einem neuen Aufschwung? Gut gebrauchen könnten wir sie, zurzeit.

Dann machte ich mich an die Etymologie: Der Begriff hat mit unserem Blick zu tun, mit der Sicht auf die Zukunft. An die Synonyme: „Optimismus“ wird genannt, „Selbstvertrauen“. Aha, die Sprachgemeinschaft schreibt unserem Wort eine positive Grundstimmung zu. Ich dachte über die Bedeutung nach und kam zum folgenden Schluss: Zuversicht ist ein Akt; kraftvoll, proaktiv, Menschen entspringend, die in sich ruhen, aus ihrer inneren Kraft schöpfen.

Wohin wir wie schauen und was wir sehen – wer über Zuversicht nachdenkt, kommt nicht umhin, sich zunächst mit unseren Blicken auf die Welt zu befassen. Muss sich der Erkenntnis stellen, dass wir alle unser eigenes Weltbild gestalten. Unsere Weltbilder sind einzigartig. Wie unsere DNA. Nur bleibt ihr Code unentschlüsselt. Wahrscheinlich ist er komplizierter, als die Doppelhelix. Fakt ist: Kein Weltbild gleicht einem anderen. Keines unserer Weltbilder entspricht auch nur entfernt der „Wahrheit“.

Die Fülle der Stille

Wenn wir unseren Blick steuern, treffen wir Entscheidungen. Etwa jene, ob wir das gerade Unmögliche aufs Korn nehmen; dieser Blick könnte von Traurigkeit und Verlustangst begleitet sein. Wir können unseren Gucker aber auch auf die nach wie vor unfassbare Fülle an Chancen richten. Sie waren vielleicht immer schon da und wurden nur vom Glamour der glitzernden Angebote überlagert? Oder sie ergeben sich gerade jetzt, neu: in der Fülle der Stille.

Ich begann über den Begriff zu meditieren. Übte, indem ich mein Fernrohr auf nahe Liegendes richtete. Auf den Tag, der gerade auf mich wartet. Noch besser: auf den gegenwärtigen Augenblick. Ich beschloss, zu lernen: Atmen, Gehen, Nahsehen – anstelle von „Fernsehen“. In unserer verletzlichen Welt, in der sogar die Felsen bersten, bleibt nur eine unzerstörbar: die Natur des Geistes. Gedanken, Gefühle und Körper kann man zerschlagen. Ja, sogar Marmor, Stein und Eisen brechen. Aber die Natur des Geistes ist unzerstörbar. Zuversicht bedeutet, sich dieser Natur anzunähern. Auch wenn uns die, Tag für Tag über uns hereinbrechende, oft nicht ungiftige, Flut an Nachrichten davon ablenken will. Haben wir einmal den Willen gefunden, den Geist zu erfahren, kann uns nichts davon abhalten. Ich freue mich auf diesen Tag. Auf den Augenblick. Auf jetzt.

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Für den Feuerberg.Foto: Dan Grinwis / unsplash

© Sepp Wejwar 2021-05-10

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