von Franz Herzog
Lava â schon der Name birgt etwas Geheimnisvolles, GefĂ€hrliches. Es ist 1000 Grad heiĂes flĂŒssiges Gestein, das aus der Tiefe des Erdmantels in den Vulkanschloten nach oben dringt und unaufhaltsam die AbhĂ€nge hinunterkriecht und alles in ihrem Weg liegende niederwalzt und verschĂŒttet. Wenn die Lava ins Meer flieĂt, reagiert sie heftig mit dem Wasser und explodiert zu glĂŒhenden Gesteinsfetzen.
In den 1990er Jahren stand ich auf Big Island in Hawaii eines Nachts direkt vor dem Felsen, wo sich die rote zĂ€hflĂŒssige Lava in das aufgewĂŒhlte Meer ergoss. Ich stellte mein Stativ auf und fotografierte mit lĂ€ngerer Belichtungszeit eine Reihe von fantastischen Bildern dieser UrkrĂ€fte. Mir war damals noch nicht bewusst, in welcher Gefahr ich mich befand. SpĂ€ter erfuhr ich, dass die Lavaströme die erkalteten Gesteinsmassen wie einen breiten Balkon ĂŒber die KĂŒste hinaus bauen. Darunter fehlt jede StĂŒtze. Und es ist schon passiert, dass diese Felsterrassen, so groĂ wie FuĂballfelder, abgebrochen und ins Meer gestĂŒrzt sind, zusammen mit den ĂŒberraschten Touristen, die nur Augen fĂŒr das Naturspektakel hatten. Es gab auch Tote. Bei meinem nĂ€chsten Besuch war ich gewarnt und filmte die kochende Magmaexplosion aus sicherer Entfernung mit dem Teleobjektiv.
Als die Ranger Ulli und mich mit Kennerblick musterten, meinten sie: âYou are from Austria, you will make itâ. Sie trauten es uns zu, nach einem stundenlangen FuĂmarsch ĂŒber zerklĂŒftete Lava den frischen Lavastrom zu finden und nachts auch wieder zurĂŒckzukommen. Doch die dĂŒnnflĂŒssige Strick-Lava ist tĂŒckisch. Manchmal konnten wir nicht genau erkennen, ob die glĂŒhende Masse schon eine abgekĂŒhlte Kruste gebildet hatte, die unser Gewicht tragen könnte oder ob wir â nicht auszudenken â plötzlich in der heiĂen Glut stehen wĂŒrden. Mit einem Stock versuchte ich die Festigkeit zu testen, Ă€hnlich wie mit dem Eispickel auf einem Gletscher. Manchmal passierte es, dass wir von den verzweigten Lavaströmen eingeschlossen wurden. Da half nur mutiges Springen, um im Zickzack dem heiĂen Labyrinth zu entkommen.
Neben dem Abenteuer âVulkanwildnisâ spielt fĂŒr mich das Ă€sthetische Erlebnis âLavaâ eine wichtige Rolle. Dann bin ich mit den Augen auf dem Boden auf der Suche nach der absoluten Form der erkalteten âeingefrorenenâ Stricklava.
Ich blicke auf die unendliche Weite des Pazifik und stelle mir vor: hunderttausende Jahre lang weiĂ nur der Ozean, dass in seinen Tiefen eine Insel wĂ€chst. Höher und höher Schicht auf Schicht bahnt sich die Lava ihren Weg nach oben. Doch eines Tages unterscheidet sich eine Eruption von allen vorangegangenen. Zum ersten Mal erreicht die Lava die MeeresoberflĂ€che. Eine gewaltige Explosion zerfetzt das glĂŒhende Gestein, als es mit Wasser und Luft zugleich in BerĂŒhrung kommt. Dampfwolken steigen kilometerhoch in den Himmel. Eine Insel erhebt sich aus der Tiefe.
© Franz Herzog 2020-12-05