von Neele Hermann
Doch nach Jahren des Alleinseins, als sie gerade auf einem sehr instabilen Grabstein herumhüpfte, schauten sie von unten gletscher- blaue Augen an. Sie verharrte genauso wie sie war. Ein Bein noch erhoben, das andere gerade erst aufgesetzt. Es war ein junger Mann. Er betrachtete ihr Kleid und zupfte sogar an der Spitze, die am Saum befestigt war. Olydia erwartete, dass er sich nun schmachtend vor sie warf und ihr einen Heiratsantrag machte, doch dies tat er nicht. Er schaute sie nur weiter an, die Hände in den Hosentaschen, welche schon äußerst alt und zerrissen aussahen wohlgemerkt. Olydias Augenbraue zuckte, sie konnte ungepflegte Leute nicht leiden. „Bist du die Schwarze Witwe?“, eine Gänsehaut zog sich über ihren gesamten Körper. Die Stimme des jungen Mannes wirkte nicht von dieser Welt. „Schwarze Witwe? Ich bin doch keine Spinne.“ auch Spinnen konnte Olydia nicht leiden. Der Mann schmunzelte nur und erwiderte: „Sei froh das sie dir diesen Namen gegeben haben. Es hätte dich deutlich schlimmer treffen können.“ sie zuckte nur mit ihren Schultern. Sie wollte schon einen Stein weiter springen, als er ihr Kleid mit einem Ruck an sich zog. Sie bereitet sich darauf vor auf den Mann zu fallen, jedoch viel sie einfach hindurch. Er war ein Geist. Etwas tief in ihr regte sich. Etwas das sie schon sehr lange nicht mehr gefühlt hatte. Diesmal schmunzelte er nicht nur, sondern er lacht laut los. Selbst Olydia musste schmunzeln. Es war irgendwie makaber. Der junge Mann ließ sie aufstehen und sagte: „Mein Name ist Thayer.“
Sie traf sich häufig mit dem sehr schadenfrohen Geist. Es war nett nicht alleine auf dem Friedhof dem Tod ins Gesicht zu lachen. Nach einer nicht genau bemessbaren Zeit sprach sie über ihren Grund für den Trotz gegenüber dem Tod. Zwar hatten Thayer den Kampf offensichtlich verloren, doch er kam ihr ganz und gar nicht schwach vor. Er starrte sie lange an bis er fragte: „Aber wenn du jetzt sterben würdest, wer würde dich für egoistisch halten. Du hast doch niemanden.“ „Das stimmt nicht, ich hab-„ Olydia stockte. Sie hatte sich all die Jahre so sehr darauf konzentriert nicht zu sterben das sie niemanden mehr hatte. Ihr waren alle gleichgültig gewesen, und anders herum genauso. Plötzlich fühlte sie sich unglaublich alt und als sie in Thayers helle Augen blickte, stand sie auf. „Ich hab dich.“ sagte sie und ließ sich vom Grabmal fallen, direkt auf den Speer des Engels, der unter ihnen stand. Das nächste Mal als sie die Augen öffnete, stand sie neben ihrem Körper und zum ersten Mal seit dem sie sich kannten sah Thayer überrascht aus. Diesmal lachte sie. Er stimmte ein und zusammen sprangen sie nun von Grabstein zu Grabstein, bis ihre Seelen langsam in die nächste Welt wandelten. Der Körper der schwarzen Witwe wurde nie gefunden, selbst die Dorfbewohner zweifelten an ihrem Verstand. Keiner wusste, ob sie existierte oder ob sie nur eine Halluzination von einsamen Männern war, die betrunken über dem Friedhof liefen und hofften nicht alleine zu sterben….
© Neele Hermann 2025-05-21