Letztens war ich mit meiner achtjährigen Nichte Zoe im Prater. Abgesehen davon, dass dieser gemeinsame Tante-Nichte-Tag wunderschön war, hatte ich ein absolutes Aha-Erlebnis, eines von der Sorte, welches einem nicht nur für immer in Erinnerung bleiben wird (vielleicht nicht für immer, aber zumindest für eine ziemlich lange Zeit), sondern auch das eigene Empfinden prägt und letztendlich hoffentlich eine Veränderung, auch im Verhalten bringen wird.
Wir saßen also in einem der Waggons der Achterbahn „Wilde Maus“ und fuhren langsam den „Hang“ hinauf. Unter uns hörte man das Knarren der Stahlkette auf den Schienen, das in mir nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit aufkommen ließ. Das Getöse war so laut, dass man fast sein eigenes Wort nicht verstand. Länger nicht mehr Achterbahn gefahren, schwankte ich zwischen freudiger Erwartung auf die rasante Talfahrt und dem unguten Gefühl immer höher hinaufzufahren- was ja gefühlt im Zeitlupentempo geschieht. Vielleicht bewusst von den Erbauern so gestaltet, dass die Fahrt länger dauert und man die Umgebung genießen und Attraktionen in der näheren Umgebung entdecken kann.
Für Menschen mit einer sehr leichten Form von Höhenangst eine Herausforderung und so entfuhr mir ein: „Oh Gott, ganz schön hoch diese Achterbahn.“ Daraufhin erwiderte meine Nichte mit einer Selbstverständlichkeit: „Wieso, was hast du denn?“ Du kannst hier gar nicht rausfallen wir sind ja angeschnallt“, während sie mich mit einem Fingerzeig auf die tolle Aussicht rings um uns aufmerksam machte. Der Tonfall in ihrer Stimme transportierte eine tief verankerte Überzeugung.
Und da war sie, diese Leichtigkeit, dieser logische Gedankengang eines Kindes- wozu Angst- man ist ja sicher- es kann nichts passieren, weil man ja angegurtet ist. Und so führte mir dieser Satz schlagartig vor Augen, dass auch, wenn ich in vielerlei Hinsicht „Kind“ geblieben, neugierig auf Neues bin und ich mir meine Begeisterungsfähigkeit aufs Leben bewahrt habe- doch dieses herrliche Urvertrauen eines Kindes verloren habe. Man hat einfach schon zu oft von irgendwelchen Achterbahnunglücken gehört, gelesen, dass sich Gurte lösten oder Kabinen aufgingen. Auch hat man früher von Menschen im engeren Umfeld oftmals Ängste mitbekommen und schlussendlich übernommen.
Natürlich kann man der Sache nun auf den Grund gehen- ist Höhenangst genetisch bedingt, erlernt oder eine Mischung aus beiden, jedoch will ich es gar nicht wissen. Es würde diesen magischen Zauber des Moments zerstören. Ich musste schmunzeln und hätte meine Nichte am liebsten abgeküsst, wenn wir nicht gerade mit 100 Sachen die Bahn hinuntergesaust wären.
Ab dem, so herrlich erkenntnisreichen Satz meiner Nichte, genoss ich die restlichen Fahrten an diesem Tag ganz anders, nämlich mit einer Leichtigkeit, die ich so schon lange nicht mehr gespürt hatte.
© Christin Edlinger 2020-07-31