Nach monatelanger Patrouillentätigkeit und unter teils gefährlichen Einsätzen wurden die besten Bergführer zur IV. Bergführer- Sturmkompanie einberufen und mit neuen Waffen und Uniformen ausgerüstet.
„Eines Tages wurde unsere Kompanie vom Abschnittskommandanten Generalmajor Freiherr von Lempruch inspiziert. In seiner Ansprache bemerkte er auch, dass er schon viel Positives von uns Bergführern vernommen habe. Jedem Einzelnen von uns ginge ein erstklassiger Ruf voraus, sonst würden wir heute nicht hier stehen! Aus diesem Grund würde er uns auch den schwersten Berg, die Königsspitze anvertrauen, die höchste Stellung des Krieges. Wir sollten uns tapfer halten, er wolle seine Freude an der IV. Bergführer-Kompanie haben. Dann wünschte er uns viel Glück und fuhr ab.
Am nächsten Tag kam ein Trupp der I.Bergführer-Sturmkompanie von einer der Ortler-Spitzen. Die Kameraden machten einen tollen Eindruck auf uns. Ihre Gesichter waren dunkelbraun gebrannt, die Wintermontur zerrissen und zerfetzt. Ich dachte mir, dass wir auch bald so aussehen würden. Zwanzig Mann sollten auf die Königsspitze, der Rest wurde auf andere Höhen verteilt. Ich wurde zur Gruppe Königsspitze eingeteilt. Unsere Ausrüstung bestand aus Seil, Steigeisen, einem zweiten paar Schuhen, Schneehauben, dem Karabiner, einem Eispickel, dem Mantel, dem Tornister, Skiern und Stöcken, sowie zwei Decken.
Nach längerem, mühsamem Anstieg kamen wir auf einen Gletscher, über dessen Spalten Bretter gelegt waren, über die wir balancieren mussten. Ein Fehltritt, oder Ausrutschen hätte fatale Folgen gehabt. Nach kurzer Rast und einem längeren Marsch standen wir vorm Königsjoch, zu dem es enorm steil hinaufging. Nach kurzer Rast in einer Baracke am Joch ging es weiter. Nun sollte die sogenannte „“Lempruch-Promenade“ kommen, von der bisher nur mit Schaudern erzählt wurde. Wir standen nun vor diesem Steig, dessen Anblick alle Befürchtungen bei Weitem übertraf! Die ersten einhundert Meter des Steiges gingen noch an, doch dann wurde es brenzlich! Wir mussten Tornister und Karabiner vom Rücke nehmen und sie vorne, über die Brust hängen. Mit dem Rücken lehnten wir uns an die Wand und gingen nun Schritt für Schritt seitlich der Felswand entlang.
Das war kein Gang für Schwindelige. Die Felswand unter uns fiel kerzengerade ab und endete 200 Meter unter uns im Gletscher mit seinen riesigen Spalten. Das Überqueren dauerte ungefähr 20 Minuten. Dann kamen wir zu einer Leiter aus Eisen, die beinahe waagrecht über einer tiefen Schlucht lag. Wir krochen auf allen Vieren über dieses glatte Eisengestell, immer darauf bedacht, das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Die nun folgende, stehende Leiter war direkt ein Kinderspiel für uns. Erst jetzt kam mir zu Bewusstsein, was wir hinter uns gebracht hatten. Die Felswand hatte, wie ich später erfuhr, schon vielen Kameraden das Leben gekostet. Auch unsere Kompanie sollte im Laufe der Zeit zwanzig Mann auf diesen gefürchteten Metern verlieren. Die Toten wurden nie gefunden, weil sie in den Gletscherspalten verschwanden…“
© Helmut Wigelbeyer 2024-12-09