von Oliver Fahn
Mein Fuß schläft. Ich bin wach. Entgegen seinem Beteiligungswillen, schleppe ich ihn eine Etage tiefer. Von Träumen aufgewühlter Friedrich demonstriert mit gellenden Rufen Hilfsbedürftigkeit, die ich abstellen soll. Liebes Volk, darf ich mich in Veräußerung meines Dranges, sein Anliegen zu ignorieren, Follower nennen? Ich folge seinem unterentwickelten Schlafbedürfnis. Mich gängeln in jenem jungen Mann von mir stationierte Gene. Erbanlagen begegnet man immer ein zweites Mal. Seine mangelnde Fertigkeit, untertags Erlebtes ohne Fremdeinwirkung zu regulieren, treibt mich in den Ruin. Finanziell? Nervlich! Dass er bis zu seinem Geburtstag statt 93 nur noch 92 holprige Nächte zu bewältigen hat, sind elementare Rückversicherungen, deren Vertreter ich bin.
Das Treppengeländer, meine Rettungsboje. Stufenweise es umklammernd, schleppe ich mich in mein Zimmer. Der Fuß erwacht, ich schlafe ein. Dauerndes Wechselspiel von Schlaftrunkenheit und Umtrieb unterschiedlicher Areale peitscht meinen Körper wie Wellen den Ozean. In meinen Träumen 3 Uhr 46. Zwei Stunden bis zum aus Zeitnot geborenem schlanken Frühstück. Vor Lesungen leichte Kost, ich bitte! Ich schmatze, ermahne mich. Ich zucke wie ein oberflächlich von Absencen angetasteter Epileptiker, dessen Symptomatik sich in kaum wahrnehmbaren Zuckungen erschöpft. Flausen machen meinen Schlaf fragil. Ich durchlebe im Parcours des folgenden Tages möglicherweise vorkommende Zwischenfälle. Die Geißel der Denkenden ist ihr Gedankenstrom, der immerzu irgendwo anknüpfen will und Satzanfängen ihr Ende vorausdenken muss. In inwendiger Vorbereitung doktere ich an augenblicklich mir zugriffslosen Geschehnissen. Ich hoffe auf höflichkeitsmimendes Publikum mit ausgeprägtem Einbehaltungseifer von Kritik.
In heimischer, von Sauerstoffarmut geschwängerter Bibliothek als Austragungsort meiner Lesung, prognostiziere ich zig Stuhlreihen stampfender Besucher. Was ich visualisiere, geschieht. Verdacht von Schönfärberei? Im Zweifel für mich Angeklagten! Den Umstand, dass ich trotz rosiger Aussichten in frühmorgendlicher Benommenheit kein Lachen zustande bringe, strafe ich mit Verachtung. Berechtigter Jubelschrei muss lautlos verhallen. Ich bemühe mich, die Zuhörerschaft nicht mit abschreckender Polarisierung zu entzweien. Es ist Spekulationsschweiß, der mich tränkt. Der erkaltet. Wehrlos im frostigen Meer meiner Laken, lasse ich mich von Abkühlung umspülen. Fehlender Bürgschaft der Publikumstreue erwidere ich simuliertes Wohlwollen. Während ich Wunden eventueller Unmutskundgebungen lecke, stupst mich Antonia. Sie benennt freimütig meine verräterischen Lippenbewegungen. Um die gewünschte Lesung müsse ich mich bewerben. Antonia entromantisiert unverzüglich, womit ich mich behutsamer vitalisiert hätte. Mit ungefülltem Magen fahre ich dem Lob überraschender Pünktlichkeit entgegen. Arbeit ruft.
© Oliver Fahn 2022-04-07