von Laura Knuchel
Die ältere, zerbrechlich wirkende Dame, setzte sich auf den einzigen Stuhl, am Tisch ihres Lieblingscafés. Normalerweise war es um diese späte Stunde überlaufen voll, doch heute schien sie der einzige Gast zu sein. Zuerst verwundert über diese Tatsache, begriff sie den Grund dafür sogleich, als sie in das Gesicht des Kellners blickte, der gerade bei ihrem Tisch angekommen war. Er stellte ihr eine Tasse, gefüllt mit schwarzem Café, ohne Milch, aber mit einem Stück Zucker, wie sie es am liebsten trank, auf den braunen Holztisch. Sie nahm einen vorsichtigen Schluck des heissen Gebräus und verzog augenblicklich das Gesicht. «Wie immer verkocht und viel zu bitter.» Sprach die alte Dame mit ihrer feinen, doch bestimmten Stimme und stahl ihrem Gegenüber ein zartes Lächeln, welches sie schon eine viel zu lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. «Haben sie sich schon entschieden, Miss Alma?» Fragte der Kellner und steckte die Hand nach der Karte aus. Doch die Frau schien noch zu überlegen und schüttelte den Kopf. «Du kannst doch nicht erwarten, dass ich mich so schnell entscheide. Die Auswahl ist gross und du weißt, wie schwer ich mich mit wichtigen Entscheidungen tue.» Erklärte sie und vergrub dabei den Kopf in der Karte. Der Kellner stutzte. «Aber es gibt doch gar nichts zu entscheiden, deine Bestellung steht schon lange fest, Liebes.» Die Angesprochene verzog das Gesicht und legte die Karte seufzend zur Seite. «Deine direkte Art hat sich wirklich nicht verändert. Du bist wahrlich ein ungeduldiger und sturer Mann, Oskar.» Entgegnete die eingeschnappte Dame und schaute aus dem Fenster. Eine Weile sagte keiner der Anwesenden ein Wort, als der Kellner erneut das Wort ergriff. «Meinst du nicht, du hast mich bereits lange genug warten lassen?» Die alte Dame sagte nichts und starrte weiterhin stur aus dem Fenster, als er nach ihrer zitternden, faltigen Hand griff. Sie spürte sogleich die altbekannte Wärme, die von ihm ausging. «Aber Oskar, ich kann unser kleines Mädchen doch nicht einfach alleine lassen.» Ihre zuvor gehemmte und kontrollierte Stimme, brach nun bei jedem zweiten Wort ab und wurde von einer bitteren Note begleitet. Endlich schaute sie ihrem Gatten ins Gesicht. «Du hast sie genauso erzogen, wie wir es uns immer gewünscht hatten… ich bin mir sicher, dass sie ihren weiteren Weg nun auch ohne uns gehen kann, Alma.» Die Worte ihres Geliebten drangen durch sämtliche Fasern ihres Körpers und auf einmal flog ihr gesamtes, gelebtes Leben vor ihrem inneren Auge vorbei. Vom Tag ihrer Geburt, der Begegnung ihrer grossen Liebe, dem ersten Geburtstag ihrer Tochter, bis hin zum überraschenden Tod ihres Gatten. Nach einer kurzen Weile nickte sie schliesslich, griff nach seiner Hand und fühlte sogleich ein nostalgisches Gefühl in ihr aufkeimen. «Lass uns nach Hause gehen.» Hand in Hand verliess das alte Pärchen das Café, in dem sie sich das erste Mal begegnet waren und verschwanden im Licht.
© Laura Knuchel 2021-04-27