von Daniela Adler
„Niemand weiß, wann die letzte Umarmung sein wird … Daher solltest du aus Vorsicht oder Liebe andere immer so umarmen, als wäre es das letzte Mal.“ Beiläufig liest sie diese Nachricht, d auf ihrem Display erscheint. Sie hält inne. Sie liest den Satz noch einmal, langsamer als zuvor. Die Wörter durchdringen ihren Körper, durchfluten ihre Gedanken. Wann hat sie d letzte Mal innig umarmt? Wann hat sie Nähe u Vertrautheit verspürt, das Herz des anderen schlagen gehört?
Ihr Blick wird nachdenklich, ein beklemmendes u bedrückendes Gefühl steigt in ihr hoch. „Warum berührt mich dieser Satz heute so?“, fragt sie sich im Stillen.
Sofort kommen Bilder in den Kopf. Erinnerungen an Menschen, die sie liebgewonnen hat, die aber nicht mehr Teil ihres Lebens sind. Das echte endliche Leben hat schon knallhart angeklopft u laut gerufen: „Aus, vorbei – rien ne va plus!“ Im Kopf dreht sich ein Gedankenkarussell. Ja, sie hat ein Lebensalter erreicht, wo es nicht ungewöhnlich ist, dass liebgewonnene Menschen sterben. Sie erinnert sich an den Tag, an dem ihr Großvater verstorben ist. Das sind viele Jahre zurück, doch der Abend davor bleibt lebendig, es war ein Fest. Der 80igste Geburtstag wurde mit der ganzen Familie u allen Nachbarn groß u bombastisch gefeiert, genauso wie er es sich gewünscht hatte.
Er war bereits vom Leben gezeichnet, doch sie konnten seinen Wunsch erfüllen u haben gemeinsam auf das Leben angestoßen. Zum Abschied hat sie ihren Großvater in die Arme genommen, nicht wissend, dass es das letzte Mal war. „Komm her mein Kind, lass dich drücken“, ruft er ihr lachend entgegen. Sie lächelt ihn an, er wischt über ihre Grübchen, sie öffnet ihre Arme, umfasst seinen schon abgemagerten Oberkörper, spürt für Sekunden seine Nähe u Herzlichkeit. Wie ein Kind sehnt sie sich manchmal nach diesem Augenblick, um noch einmal diese eine vertraute Stimme zu hören, noch einmal diese Hände zu spüren, die ihr so viel Wärme u Gutes gegeben haben. Wenn sie es damals gewusst hätte, dass sie sich nie mehr umarmen können, sie hätte noch fester, noch länger, noch inniger umarmt u geherzt. Und so war es eine Umarmung wie alle gefühlten tausend davor.
Die Sprache der Umarmung ist die Sprache d Menschlichkeit, die keiner Worte bedarf. Keine Umarmung gleicht der anderen, jede einzelne ist einzigartig. Eine Geste der Liebe, denn sie drückt oft viel mehr aus, als Worte je ausdrücken könnten. Umarmungen tun der Seele gut, diesen 21 Gramm voller Sehnsucht nach Liebe u Geborgenheit. Umarmungen zeigen, wie wichtig der andere ist.
Beim Schreiben dieser Zeilen wird ihr bewusst, dass sie nicht viele Menschen umarmt. Nein, Umarmungen verschenkt sie nicht leichtfertig. Es ist etwas Intimes, dass sie jenen schenkt, die ihr wirklich etwas bedeuten. Sie denkt an die Nachricht u nimmt sich vor in Zukunft noch inniger, noch bewusster, noch liebevoller zu umarmen, denn niemand weiß, wann das irdische Leben zu Ende ist u es die letzte Umarmung gewesen ist.
Give a hug! #spreadlove
Love D.
© Daniela Adler 2020-10-12