Die Mauer ist ein Fluss

Gerhard Maier

von Gerhard Maier

Story

Die Chinesische Mauer ist das längste Bauwerk der Welt, man kann sie aus dem Weltall erkennen.

Genau darf man nicht hinschauen, weil die Mauer auf dem Großteil ihrer 21.000 km höchstens als Steinhaufen zu bezeichnen ist. Aber dort, wo sie restauriert ist, macht sie einen imposanten Eindruck. Bei Badaling, nahe Peking, haben wir die Mauer über steile Stufen bergauf bergab erklommen und sie bis zu ihrem begehbaren Ende abgeschritten. Ab dort ist alles gut abgesperrt, hier beginnt der Steinhaufen, der sich wie ein Wurm zum dunstigen Horizont schlängelt und dort eintaucht.

Auf der Landkarte kann man eine Besonderheit erkennen. Die Mauer läuft sich südlich der Stadt Hohhot an einem Fluss tot. Hier wurde die Schlucht des Gelben Flusses in das System einbezogen. Dort gibt es keine Mauer, nur mehr stark befestigte Wachtürme auf Felsplateaus, wie kleine Burgen, untereinander in Sichtweite, um sich Signale geben zu können. Die Kastelle, genannt Mongolentürme, haben schon lange ihre militärische Funktion verloren.

„Fahrts mit nach China?“ hat uns Sigi im Jahr 2000 auf seine Baustelle am Gelben Fluss eingeladen. „Sowieso!“

So machten sich vier Männer und eine Frau mit Sigi auf nach China. Mit zwei Jeeps erkundeten wir ein paar Tage den NO zwischen der Inneren Mongolei und der Shanxi Provinz.

Der Gelbe Fluss – Huang Ho, fließt durch diese beiden Provinzen. Er entspringt im Hochland von Tibet und mündet nach 5.000 km im chinesischen Meer. Seinen Namen hat er vom gelben Löss, den er mitnimmt. Wenn er genug Wasser führt, ist er eine undurchsichtige, gelbliche Wassermasse.

Sigis Baustellenzentrale befindet sich beim Staudamm Wanjiazhai, wo sich der Fluss ca 50 km ins Flusstal zurückstaut. Hier soll Wasser entnommen und über die Berge zur 200 km entfernten Stadt Taiyuan (5 Mio EW) gepumpt werden. Ein paar Techniker und Poliere aus Österreich bauen mit hunderten Chinesen Kavernen und Pumpleitungen.

Von hier aus haben wir eine der Mongolenburgen erkundet. Über die damals längste Fußgängerbrücke der Welt, ging es ans andere Ufer, die schwingende 500 m lange und 1,5 m breite Stahlkonstruktion war ein Erlebnis der besonderen Art.

Im eisigen Fahrtwind führte uns ein kleines Boot zwei Stunden flussaufwärts. An Land gelassen mussten wird das Plateau erklimmen, das Kastell immer im Blick. Oben angekommen erkannten wir, dass es ein von der Umwelt abgeschnittenes Dorf mit vielen Leuten war. Diese hockten teilnahmslos herum, eine Frau war freundlich, sie nahm die mitgebrachten Pullover und andere warmen Sachen in Empfang, die dort dringend benötigt werden.

Die Landschaft bot ein imposantes Bild, der Blick schweift die Schluchtwände entlang, in der Ferne kann man punktweise weitere Mongolentürme erkennen.

Nach einer Stunde machten wir uns wieder auf den Rückweg, die eine Frau verabschiedete sich freundlich, die anderen Dorfbewohner blieben teilnahmslos hocken.

Ich glaube nicht, dass sich in den letzten 2o Jahren dort viel geändert hat.

© Gerhard Maier 2020-03-29

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