Die mit dem Toten tanzen

Franz Herzog

von Franz Herzog

Story

In einem entlegenen Dorf in Burma treffen wir durch Zufall auf eine große Menschenansammlung. Traditionelle Musik dringt aus den Lautsprechern. Wir erfahren den Anlass: ein hochrangiger Mönch ist gestorben. Eine lebensgroße Fotografie zeigt den ehrwĂŒrdigen Lama. Sein Leichnam liegt in einer einfachen Holzkiste in einem eigens errichteten kleinen Haus aus Bambus am Rand des Dorfes. Unter den Blicken von tausend festlich gekleideten Frauen, MĂ€nnern und Kindern beginnt die Prozession. MĂ€nner in weißen Hemden betten den Toten in einen prunkvollen Sarg um. Kniend sprechen sie Gebete.

Inzwischen zerlegen andere mit Macheten das Totenhaus und zĂŒnden mehrere Knallkörper. Nach den Gebeten wird der in Form eines Tempels verzierte Sarg von den auserwĂ€hlten MĂ€nnern zum Festplatz getragen. Tanzende Frauen in langen hellblauen und rosa Kleidern begleiten ihn. Trotz großer Hitze ist das ganze Dorf auf den Beinen.

Plötzlich nehmen junge MĂ€nner in den Dressen einer Fußballmannschaft das Tragegestell mit dem Sarg auf ihre Schultern und beginnen nach dem Rhythmus und Gesang eines VortĂ€nzers zu tanzen. VerblĂŒfft beobachten wir die fremdartige Szenerie und versuchen uns vorzustellen, der Leichnam eines hohen WĂŒrdentrĂ€gers wĂŒrde bei uns von einer tanzenden Fußballmannschaft hin und her geschaukelt werden. Dazu singt der Trainer in sein Mikrofon und die Frauen tanzen anmutig dazu. Wir sind etwas ratlos, aber gespannt, was da noch kommt.

Die jugendlichen TĂ€nzer tragen rechts rote und links grĂŒne StrĂŒmpfe, ohne Schuhe. Der Tanz wird immer lebendiger und wĂ€re der Mönch nicht schon tot, er könnte dabei schwindlig werden. Mit der Zeit bekommen wir mit, dass die Totenfeier mit einem Tanzwettbewerb verbunden ist. Einen stĂ€rkeren Kontrast können wir uns kaum vorstellen. Der Sarg mit dem Toten schwingt und hĂŒpft immer wilder auf und ab, rund herum und hin und her. Auch der VortĂ€nzer steigert seinen Gesang, so dass der Lautsprecher schon brummend ĂŒbersteuert. Jetzt heißt es spenden. Frauen und MĂ€nner treten vor und reichen dem VortĂ€nzer Geldscheine. FĂŒr die arme Bevölkerung sicher ein großes Opfer.

Hinter den Kulissen diskutieren die Mönche der Jury eifrig und machen sich Notizen auf ihren Listen. Es geht um die Punktewertung fĂŒr die Tanzdarbietung. Die Vorstellung zieht sich ĂŒber Stunden und wir haben nicht die Ausdauer, die AuffĂŒhrung aller Tanzgruppen mitzuerleben oder gar die Ermittlung der Sieger spĂ€t am Abend.

Wahrscheinlich wird dem toten Mönch durch diese, fĂŒr uns westliche Menschen, mehr als sonderbare Schaukelei, sogar eine ganz besondere Ehrerbietung zuteil, bevor er in zwei Wochen eingeĂ€schert wird. Es feiern noch einmal alle Bewohner des Dorfes mit bei dieser – in unseren Augen – so verwirrenden Mischung aus Volksfest und andĂ€chtiger Verabschiedung eines Verstorbenen.

Ich schalte meine Kamera aus und denke mir: Andere LĂ€nder, andere Sitten.

© Franz Herzog 2020-07-24

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