Die Muse

Laura Schenk

von Laura Schenk

Story

Sie duften hervorragend. Dennoch empfehle ich, dass du, solltest du je in ihre Stube kommen, davon absiehst, ihre Gedichte zu kosten. Gedichte zu riechen ist schwer, sie riechend zu machen schwerwiegend und sie so zu kosten, dass sie auf der Zunge nicht gleich zerfließen, unmöglich. Aber sie beherrschte wenigstens das zweite und vorm Kosten hütete sie sich mittlerweile.

Heute hatte sie es gewagt. Sie hatte den ersten Satz geschrieben. Natürlich war es ein schlechter Satz – es war ja ihr erster Roman. Aber jetzt raufte sie sich die Haare, weil ihr gleich nach diesem ersten Satz die Tinte ausgegangen war. Das Geld für neue musste sie suchen.

Nach zwei Stunden gab sie auf. „Na gut“, sagte sie, „dann eben Gedichte. Heute kannst du keinen Roman schreiben, du hast keine Tinte dafür.“ Sie nahm den Bleistift und schrieb einen Vers nach dem anderen. Herrlich warm duftend – Zypressen, frische Luft, pure Sonne. Ich muss es wissen, ich war da.

Allein kann ich keine Wörter riechend machen. Mit ihr aber gelang es. Ich kam durch ihr Fenster, ganz nah. Sie lächelte mir zu, grüßte mit der Feder. Dann erstach sie mich fast damit. Ich sprang auf den nächsten Vers; blieb da eine Weile. Es war ein guter, duftete nach Lavendel.

Sie setzte ab.

„Gedicht zuende?“ Der Stift fiel auf den Tisch. Erneut begann sie, nach Geld zu suchen. Mein Herz wurde schwer. Einen Augenblick lang fühlte ich mich von innen verfaulen. Dann rannte ich in die kühlende Nacht, zerrte mein Herz hinter mir her.

Der nächste Abend war wie der erste. Sie saß, raufte sich die Haare. Suchte, fand nichts, nahm den Bleistift nur widerwillig.

„Dann eben Gedichte. Heute kannst du keinen Roman schreiben, du hast keine Tinte dafür.“ Nur eines war anders: Mein Herz war schon schwer, als ich kam. Das Blatt mit dem verwelkten Satz lag noch dort. Die Texte gelangen nicht wie am Vortag. Auch mein Lächeln war nicht stark genug, sodass ihr Blick bei der Erwiderung zu dem verhassten Papier abschweifte. Nicht einmal ihre Stiche waren kraftvoll. Nach einer halben Seite brach sie ab. Ein halbes Gedicht! Diesmal schleuderte sie mich davon.

Am nächsten Abend war es noch schlimmer. Sie starrte das Satz-Papier an. Saß mit dem Bleistift davor. „Wo bist du, wenn ich dich brauche?“ „Ich bin da“, wollte ich sagen, aber meine Lippen waren verschnürt. Mit aller Macht versuchte sie, aus meinem Bleistift Tinte zu quetschen. Natürlich konnte das nicht gelingen. „Dann eben Gedichte?“ Aber sie nahm kein anderes Blatt. Erst da sah ich ein, was zu tun war.

Morgens erwachte sie und erschrak. Ein großes Glas voll glänzender Tinte. Vor ihr. Von mir. Aus meinem tintenschwarzen Nachthemd gewrungen, der Falschen geschenkt. Sie lächelte. Bis über beide Ohren, zogen sich die Grübchen. Ich konnte nicht lächeln. Als mein erster, nackter Zeh die Schwelle berührte, fühlte ich den Schmerz.

„Heute kann ich keinen Roman schreiben.“ Sie wartete, dass ich mich zu ihr umdrehte. Dann tauchte sie den Bleistift in die Tinte. „Ich habe kein Herz dafür.“

© Laura Schenk 2022-04-29

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