Die Nacht im Protokoll

Silvia Atzlinger

von Silvia Atzlinger

Story

Kinder machen die Nacht zum Tag, wobei Eltern am nĂ€chsten Tag unter Amnesie leiden. Was war da nochmal? Wer war wann wie lange munter, und welche Diskussion haben wir so lange gefĂŒhrt? Um dem Geheimnis einer Nacht mit Kindern auf den Grund zu gehen, habe ich einmal Protokoll gefĂŒhrt.

21:30 Uhr – Die Kinder sind ruhig, ich mache mich bettfertig. Da das Bad an das Kinderzimmer der Großen grenzt, kann ich den Wasserhahn nur minimal aufdrehen und die ZĂ€hne nur in Schildkröten-Geschwindigkeit putzen – ja auch das GerĂ€usch einer BĂŒrste, die ĂŒber die ZĂ€hne fĂ€hrt, kann sie aufwecken. Mitten unter meinem Slow-Motion-Putzvorgang wird das Baby unruhig. Also entweder Putzvorgang abbrechen oder no risk no fun: schneller putzen. 21:40 Uhr – ich stille das Baby und verrenke mich dabei kunstvoll – frage nicht! Seitenlage, Hohlkreuz, da die Brust 0,5 m Richtung Beistellbett geschoben werden muss. Wie gesagt, frage nicht, wieso nicht anders. 22:00 Uhr – Nach 20 Minuten Brust rein, Brust raus, Schnuller rein, Schnuller durchs Zimmer schleudern, andere Brust rein, wieder raus und das Ganze von vorne, glaube ich, das Baby schlĂ€ft wieder. Ich lege mich langsam zurĂŒck in mein Bett, hebe die Decke behutsam und versuche dabei die Luft anzuhalten. Die Matratzenfeder quietscht, und das Kind im Nebenzimmer ruft „Mama?“ 22:10 Uhr – Ich gehe zur Großen, lege mich neben sie und lasse mich zu Tode streicheln. 22:30 Uhr – Ich glaube, ich bin eingeschlafen, jedenfalls weckt mich Baby-Geschrei. Ich bin mĂŒde, aber ahne Schlimmes: Habe ich jetzt mit meinem Power-Nap alles zerstört? Ich schleiche mich schnell und langsam zugleich in Spiderman-Modus aus dem Bett der Großen. Beim Anfassen der TĂŒrschnalle – knapp vorm Ziel also – klimpert mein Ring gegen die TĂŒrschnalle. „Mama??“ 22:45 Uhr – Der Mann liegt bei der Großen, ich stille das Baby. 23:10 Uhr – Ich bin hellwach und saumĂŒde. 00:15 Uhr – Ich schlafe endlich ein. 01:30 Uhr – Ich höre die Große im Nebenzimmer weinen und mit Papa diskutieren. 02:00 Uhr – Mir reicht’s und ich gehe rĂŒber. „Was ist denn los?“ – „Sie will dir unbedingt was Wichtiges sagen!“ – „Was ist denn?“ – „Mama, hat Lukas auch einen Penis?“ 02:10 Uhr – Ich liege wieder neben dem SĂ€ugling und warte, dass er gleich zum Stillen aufwacht. Nicht, dass ich wieder aus dem Schlaf gerissen werde. 02:50 Uhr – Ich schlafe ein, warten ist nicht sinnvoll. 03:15 Uhr – Das Baby wacht auf. Ich stille. 03:30 Uhr – Das Baby wĂ€lzt sich unruhig hin und her und kann nicht mehr einschlafen. 03:45 Uhr – Ich stehe mit dem Baby auf und versuche, es in der Trage zum Weiterschlafen zu bringen. Dabei laufe ich dreimal gegen den KĂŒchenblock und breche mir gefĂŒhlt fĂŒnf Mal die kleine Zehe. 04:00 Uhr – Baby ist hellwach. Ich schleiche zum Mann ins Zimmer und will, dass er die Schicht ĂŒbernimmt und ich noch schlafen kann. 04:05 Uhr – Ich lege mich ins Bett. Mach die Augen zu. Und wieder ruft mich die Große. 04:10 Uhr – Ich lege mich zur Großen und wir schlafen – Gott sei Dank – bis 06:00 Uhr.

Over and out.

© Silvia Atzlinger 2021-07-08

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