Die Nacht im Schnee

Johannes Wiesendahl

von Johannes Wiesendahl

Story

Die Trauer ließ meinen Verstand wiederkehren, und der sagte mit, zu verschwinden. Aber wohin? Egal. Einfach fort von diesem Ort, der mit Blut besudelt wurde und nie wieder reingewaschen werden kann. Ich gürtete das Schwert meines Onkels und rannte aus der Halle. Mein Pferd war noch dort. Ich stieg auf und ritt davon, wobei ich den Fehler machte, noch einmal zurückzublicken, während ich den Hof verließ, was mir einen Stich versetzte. Dieser Ort war meine Heimat, mein Geburtsrecht und es wurde mir genommen. Ich dachte an die Worte meines Onkels, ich solle mir mein Königreich wieder zurückholen, aber wie. Er hatte mich König genannt. Die Realität traf mich wie ein Schock und alle meine Gedanken schienen sich um diese eine Erkenntnis zu drehen: Ich war der rechtmäßige König dieses Landes, ins Exil geschickt von den eigenen Fürsten.

Ich ritt bis tief in den Wald und in die Nacht, bevor ich hielt. Es war bitterkalt, so kalt, dass selbst mein Umhang aus dicker Wolle mich nicht zu wärmen vermochte. Ich konnte vor Dunkelheit und Schneegestöber kaum die Hand vor Augen sehen, und so war es reiner Zufall, dass ich eine Kuhle fand, die mich immerhin vor dem Wind schützte. Die Nacht über blieb ich wach, auch wenn es mir schwerfiel, nicht vor den toten in den Schlaf zu fliehen. Doch ich wusste, wäre ich eingeschlafen, hätte das niemanden etwas genützt, denn ich wäre einfach erfroren.

Die Nacht war hart, doch der Morgen brachte Sonnenschein, der meine Haut vermeintlich wärmte. Es hatte irgendwann in der Nacht aufgehört zu schneien und auch der Mond war kurz sichtbar, doch war es kein Vergleich zu dem strahlend blauen Himmel dieses Morgens, welcher sich nicht um all dies, was geschehen war, um das Blutbad, zu kümmern schien. Meine Glieder waren steif und ich zitterte am ganzen Leib, als ich aufstand. Die Wärme der Sonne half nicht viel, denn nur der kleinste Teil dieser drang bis zu mir durch. Zum Glück war mein Pferd noch da, doch auch das mächtige Tier zitterte am ganzen Leib und wirkte schwach.

Ich ging auf es zu und tätschelte seine Nüstern, aus denen dampfender Atem quoll. Irgendwo in der Nähe stoben einige Raben auf, die Schreie von sich gaben

„Was machen wir nun?“, fragte ich in den Wald hinein, und musste schockiert feststellen, dass der Wald antwortete.

„Überleben“, antwortete eine raue Stimme. „Eine Armee ausheben und dein Königreich zurückgewinnen.“

Ich kannte diese Stimme. Es war Huntung, der scheinbar seine Begegnung mit meinen Cousins und ihren Spießgesellen überlebt hatte.

© Johannes Wiesendahl 2024-11-18

Genres
Romane & Erzählungen