Nach einigen Monaten Pause habe ich letzte Woche wieder ein Sprachencafé bei uns im heimischen Einkaufszentrum abgehalten. Obwohl die Teilnahme an dieser Veranstaltung kostenlos ist, hält sich die Begeisterung in Grenzen.
So war ich wirklich froh, dass vier Interessierte mit mir an einem Tisch Platz nahmen. Diese vier Damen kannte ich bereits aus meinen Kursen und wir stellten fest, dass sie sich auch schon bei anderen Sprachencafés begegnet sind. Da fiel mir eine ältere Dame am Nebentisch auf, die uns beobachtete. Ich wollte sie schon ansprechen, als die Kellnerin sie uns vorstellte. Sie wollte auch an unserem Sprachencafé teilnehmen.
Ihr Englisch war sehr gut, annähernd dem eines Native Speakers. Weil wir sie nicht kannten, stellten wir uns der Reihe nach vor. Sie stellte viele interessierte Fragen. Als sie an die Reihe kam, hörte sie nicht mehr auf zu sprechen. Ihr Leben war auch wirklich sehr bunt, und wir lauschten gerne ihren Schilderungen. Im Alter von 14 Jahren verließ sie gemeinsam mit ihrer älteren Schwester ihren Heimatort, um bei zwei Tanten in New York zu leben. Man schrieb damals das Jahr 1958, und die beiden jungen Mädchen überquerten den großen Teich nicht auf einem Schiff, sondern sie gelangten über die Lüfte in die neue Heimat. Das Geld für den Flug mussten sie den Tanten mit Zinsen später zurückzahlen. Sie wohnten in New York im Stadtteil von Queens, wo sie auch die Schule besuchen konnten. Das Englisch der älteren Dame ist sehr gut, sie hatte keine Probleme, die geeigneten Vokabeln für ihre Schilderungen zu finden. Sie erzählte uns auch, wie sie ihren Mann, einen Deutschen, kennengelernt hatte und andere Anekdoten aus ihrem Leben. Ich fragte sie dann, wo sie denn früher in ihrem Heimatort gelebt hatte, bevor sie nach Amerika geflogen war. Sie nannte mir den Stadtteil und ich entgegnete, dass ich auch hier wohne. Aus ihren Schilderungen entnahm ich, dass sie ihre Familie sehr vermisst hatte, und später, als sie nach zehn Jahren New York nach Deutschland zog und dort ihre eigene Familie gründete, auch jedes Jahr in ihre alte Heimat kam, um ihre Eltern und Geschwister zu besuchen. Auf die Frage, wo genau sie in diesem Stadtteil gewohnt hatte, nannte sie mir den Namen einer kleinen Straße, in der sich auch mein Elternhaus befindet, und wo ich auch heute noch wohne. Nein, was für ein Zufall. Wir sind uns damals nicht begegnet, da ich erst später geboren wurde, doch ich kenne einige ihrer Geschwister, und ich kann mich auch noch gut an ihre Eltern erinnern. Wie ist die Welt doch klein!
Nach zehn Jahren in New York und vielen Jahren in Norddeutschland lebt diese ältere Dame nun wieder in ihrem Geburtsort. Sie ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt.
© Waltraud Wohlmuth 2022-05-17