von Herbert Schieber
Unser Unternehmen war bemüht, die Mitarbeiter in ihrem Wirkungsbereich bestmöglich weiterzubilden. Da ich im unmittelbaren Kontakt mit Kunden stand, war auch NLP unerlässlich. NLP? Für Unbescholtene, es ist die Abkürzung für Neuro-Linguistisches Programmieren. Klingt kryptisch, ist kryptisch.
Ich nahm gerade das zweite Mal an einem mehrtägigen NLP-Einsteigerseminar teil. Wir lernten über Ankern, Pacing, Rapport, Spiegeln,… was letztlich für noch mehr Verwirrung im Kopf sorgte. Was mich aber wirklich begeisterte, war die Augenstellungen seines Gegenübers in einem Zwiegespräch zu interpretieren. Das funktionierte tatsächlich und begeisterte jeden der Teilnehmer!
Wir lernten aber auch, Personen mit anderen Mitteln und Werkzeugen zu interpretieren und auch unser eigenes Verhalten im Gespräch zu beobachten. Wir simulierten Zwiegespräche und wurden dabei gefilmt. Die Filme wurden anschließend akribisch zerpflückt und analysiert. Danach wurden wir nochmals nachgeschärft. Die Tage glichen einer Ranger-Kampfausbildung, nur auf Basis von NLP.
Als ich nach dem Seminar heimwärts fuhr, nahm ich mir vor, künftig meine Kunden mit meinem erlernten NLP-KnowHow in jedem Gespräch zu analysieren und zu beeinflussen. Bei den ersten beiden Gesprächen versuchte ich noch beim Kunden auf seine Augenstellung zu achten. Da hatte ich ganz schön zu tun. Aha… er ist ein visueller Typ… er sagt mir gerade die Wahrheit… jetzt versucht er mir eine erfunden Lügengeschichte aufzutischen… oder war es doch umgekehrt… ist er gar ein auditiver Typ? Es artete in Stress aus und ich verlor den wichtigen Gesprächsleitfaden. Beim dritten Gespräch habe ich schon das mühsam errungene NLP-Wissen weggeschmissen, denn die meisten meiner Kunden kannte ich schon Jahre. Ich kannte oft persönliche Geschichten von ihnen, die selbst ihre eigenen Frauen nicht wussten. Ja, für viele war ich geschäftlich und auch manchmal privat ihre Klagemauer und fast der beste Freund.
Doch eine große Erfahrung habe ich aber aus dem letzten NLP-Seminar mitgenommen:
Am dritten Tag saßen wir, wie so oft, wieder mal im Kreis. Unser NLP-Couch hat uns die Aufgabe gestellt, wir sollten die Augen schließen und uns den glücklichsten Moment unseres Lebens vorstellen. Meine Kollegen haben gegrübelt. Bei manchen hat der Gesichtsausdruck und das Sabbern aus den Mundwinkeln so Einiges vermuten lassen. Tja, ich habe bei dieser Aufgabe versagt. Mir ist einfach kein glücklichster Moment eingefallen. Darum habe ich beim Fenster hinausgesehen, es hat gerade ganz dicht zu schneien begonnen, und ich fühlte mich auch so rundum zufrieden.
Heute weiß ich es warum mir damals kein glücklichster Moment eingefallen ist. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Ich konnte einfach nicht die Vielzahl meiner glücklichsten Momente nur auf einen Einzigen reduzieren!
Durch dieses Erlebnis wurde mir erst bewusst, wieviel Glück mir mein Leben geschenkt hat. Danke!
© Herbert Schieber 2019-11-09