Die Opiumvampire

AlfonsX

von AlfonsX

Story

Fünf Köpfe mit ihren nackten Oberkörpern tauchen über einem Meer aus weißen Mohnblumen inmitten einer gelblichen und einsamen Ebene auf. Es sind zwei Frauen und drei Männer, die durch ein Loch im Zaun in eine verlassene Farm voller wilder Mohnpflanzen am Rande einer Kleinstadt in der Nähe von Toledo geschlüpft sind: „Wir sind drei Freunde, die aus Frankreich kommen, um den Mohn zu pflücken, wie viele Leute, die aus anderen Ländern Europas kommen“, erklärt Lucian. Die anderen stammen aus Katalonien. Sie alle kommen nicht wegen der auffälligen weißen Blüten, sondern wegen des Blutes der Pflanze. Deshalb werden sie auch Opiumvampire genannt.

Lucian trägt zwei Eisstiele in einer Hand, aber er kämpft damit nicht gegen die Hitze an. Zwischen den Stäbchen steckt eine Rasierklinge, mit der er die Kapseln der Pflanzen akribisch aufschlitzt, so dass aus ihr ein Milchsaft tropft: Opium, ein Suchtstoff, der dank Verbindungen wie Morphin betäubt und Schmerzen lindert. Es ist eine Art billiges Heroin. Lucian´s rudimentäres Werkzeug ist identisch mit dem, das neben der Leiche eines 32-jährigen Italieners gefunden wurde, der 2009 bei einer Schlafmohnernte an Erstickung und Krämpfen starb. Vor drei Jahren starb auch ein 20-jähriger Ire auf ähnliche Weise, nur wenige Kilometer entfernt von der Stelle, an der Lucian und seine Kollegen an diesem Morgen Pflanzen schneiden.

Spanien ist mit 113 Tonnen Opium pro Jahr weltweit der größte Produzent von legalem Opium, weit vor Frankreich und Australien, der Türkei, Indien und Ungarn.

Der Standort der über 500 legalen Mohnfelder ist streng geheim, aber im Frühjahr ist es nach Angaben des Gesundheitsministeriums unmöglich, tausende Hektar mit den weißen Mohnblumen zu verbergen.

Ab Mai, wenn sie anfangen zu blühen, kommen viele junge Reisende, die wissen, dass es in dieser Provinz große Felder mit weißem Mohn gibt. Der Wind verteilte die Mohnsamen über die Jahre in alle nur erdenklichen Richtungen, sodass es in der Provinz bereits überall Felder mit wilden Pflanzen gibt. Sie müssen deshalb nicht mehr über Zäune springen, um an die Droge zu kommen.

Eine der Frauen aus Barcelona, ​​erklärt, dass sie Opium auf alle Arten konsumiert, außer injiziert: als Aufguss getrunken, geraucht oder sogar rektal. Wobei durch letzteres etwaiges Erbrechen vermieden werden kann.

Alles in allem ein Milliardengeschäft für den spanischen Staat.

Allein im Jahr 2016 exportierte das Land 78.000 Kilogramm Mohnstrohkonzentrat, 7.600 Kilogramm Codein, 180 Kilogramm Morphin und 34.000 Kilogramm Thebain.

Aus 500 Kilo Mohnstroh wird ein Kilo Morphin gewonnen. Der Anbau wird in ganz Andalusien, den beiden Kastilien (Castilla La Mancha und Castilla Leon) und dem Norden des Landes (La Rioja und Baskenland) verteilt, um zu verhindern, dass eventuell auftretende Wetterextreme gleich die gesamte Ernte beeinträchtigen könnten.

© AlfonsX 2022-06-16