von Bernd Schreiber
Unsere Tunga war ein wunderbarer Dobermann, genauer eine Doberfrau, also eine Dobermannfrau (korrekt?). Wir hatten sie aus dem Tierheim geholt, nicht ganz risikolos, aber alles wurde gut. Sie biss nie, war nicht aggressiv und sprang gern, vor allem hoch und sehr gut. Der Jägerzaun zur Straße stellte sie vor kein Problem, nur der Maschendrahtzaun zum Nachbarn war höher und unpassierbar. Dachten wir. Bis Tunga eines Tages auf der anderen Seite stand und uns schwanzwedelnd stolz zeigte, dass sie etwas im Maul festhielt. Es war Amanda, die Schildkröte unserer Nachbarn, ein pflegeleichtes Haustier. Die einen verbringen den Winter auf den Kanaren, sie in einem übergroßen Schuhkarton. Im Frühjahr wieder draußen suchte sie häufig ein Loch im Zaun zu uns (des Nachbarn Gras ist immer grüner). Landete sie bei uns, reichten wir sie wieder zurück.
Jetzt war sie in Tungas Maul gelandet, der Kopf war schon weg, also eingezogen, nur vier Beine suchten wild durch die Luft fuchtelnd nach Bodenkontakt. Au Schiet, wenn Tunga jetzt zudrückt, war’s das mit Amanda. „Aus“, schrie ich und derart bestimmt, dass sie gehorchte. Sie öffnete ihr Maul ein wenig und ließ Amanda runterplumpsen. So prompt hatte ich das nicht gemeint, mehr so im Sinne von vorsichtig ablegen, aber zugegeben, „Schildkröte ablegen“ hatten wir nicht geübt.
Die Nachbarn schienen nicht daheim zu sein. Ich rief Tunga zurück, ohne Erfolg. Ich versuchte, über den Drahtzaun zu klettern, ohne Erfolg. Meine Frau holte Leckerli und ich die Klappleiter, stellte sie über den Zaun und turnte rüber. Tunga sah mir interessiert zu, hielt den Kopf schräg und dachte wohl: „Ach, so geht das auch, sieht aber umständlich aus“. Mit Leckerli gelockt, von Motivationsansprachen und „Trommelwirbel“ unterstützt, sprang Tunga schließlich zurück.
Was war mit Amanda? Die hatte sich komplett ins Häusliche zurückgezogen. Lebte sie noch? Ich hätte in die fünf Löcher reinrufen können, ob jemand zu Hause ist und ob alles okay wäre, aber es hätte nichts genützt. Ich setzte sie wieder richtig rum auf den Boden und stupste sie an, aber nichts passierte. Dann sahen wir das Malheur. Ihr Panzer war in der Mitte aufgeplatzt und gebrochen. Oh Gott, die Arme. Sofort ab zum Tierarzt. Der sah sich Amanda an und beruhigte uns, denn sie würde noch leben und den Karosserieschaden könne man beheben. Er holte etwas, was wie eine Tube Pattex aussah, strich die Bruchstelle mit dem Kleber ein, drückte beide Seiten zusammen und klebte noch sowas wie Paketband oder – wie wörtlich passend – Panzerband drüber. Das könnten wir später wieder abmachen und dann müsste alles okay sein.
Stunden später waren auch unsere Nachbarn wieder zu Hause. Wir lösten den Verband vorher ab und zeigten ihnen Amanda. „Ach, ist sie wieder mal ausgebüchst?“ „Ja“ zu antworten war sehr verlockend, aber wir beichteten doch alles ehrlich.
Amanda hat es bestens überstanden und wenn sie nicht gestorben ist, dann läuft sie noch heute am Zaun auf und ab.
© Bernd Schreiber 2021-11-27