Ben schlägt sein Freundschaftsbuch auf und schmunzelt über Omas Eintrag: „Deine patscherte Oma“ steht da schwarz auf weiß. Oma ist wirklich manchmal ganz schön ungeschickt. Vor kurzem stolperte sie über die letzte Stufe im Treppenhaus und schon lag sie da. „Aua!“, rief sie und hielt sich ihren Knöchel. Der war ordentlich verstaucht und wochenlang angeschwollen. Nähen und Flicken sind für sie ein Graus. „Wenn ich die Nadel nur anschaue, sticht sie mich schon“, pflegt sie augenzwinkernd zu sagen. Selbst der Fingerhut hat keine Chance, Omas Finger zu schützen.
Auf ihren Fotoapparat ist Oma besonders heikel. Schließlich begleitet er sie fast überall hin. So auch zum Teich, wo sie schlüpfende Libellen fotografierte. Da bemerkte sie, dass der Wind den Halm, an den sich das frisch geschlüpfte Insekt klammerte, in das Wasser getaucht hat. Oma musste das Tier retten, das versteht sich von selbst. Sie hängte sich den Gurt der Kamera um den Hals und beugte sich zur Libelle hinab, immer tiefer, bis sie den Halm endlich zu fassen bekam. Während sie das filigrane Tier aus dem Wasser fischte, tauchte ihre Kamera zeitgleich unter. Ihr könnt euch vorstellen, wie verärgert Oma darüber war. Ihr geliebter Fotoapparat musste zur Reparatur. Das fand sie gar nicht lustig.
Neulich setzte sich Oma auf eine Bank, um auf die Bahn zu warten. Die Sitzfläche war ziemlich unbequem und kalt. Da hatte sie eine geniale Idee. Sie setzte sich kurzerhand auf ihr Buch. Diese Sitzunterlage fühlte sich gleich viel angenehmer an. Als der Zug einfuhr, erhob sich Oma gedankenverloren und stieg ein. Ein paar Stationen weiter entdeckte sie das Missgeschick. Opa musste losfahren und konnte das Buch zum Glück noch finden, bevor der angerückte Putztrupp Ordnung machte.
Wenn Oma die Suppe mit der Schöpfkelle austeilt, kleckert sie oft daneben. Dann lachen ihre drei Enkelsöhne. Oma scheint das gar nichts auszumachen. Sie lacht mit den Kindern und meint: „Ist der Ruf einmal ruiniert, kleckert sich`s weiter ungeniert“. Dann holt sie einen Lappen, und im Nu ist wieder alles sauber. Dabei bemüht sich Oma wirklich, nicht zu patzen. Wenn sich aber ein Stück Kartoffel selbstständig macht und ihr von der Gabel in die Tomatensauce plumpst, ist das Malheur geschehen. „Nicht schon wieder!“, ruft sie dann verärgert über sich selbst, während ihre Enkelkinder mit verschmitztem Lächeln „Patscherte Oma“ murmeln. Beim Gemüse schneiden ist Oma besonders vorsichtig. Sie hasst es, wenn das Messer vom Kürbis abrutscht und ihren Finger trifft. Doch hin und wieder ist das Messer erfolgreich.
Eines Tages will Oma den Kindern beweisen, dass sie auch geschickt sein kann. „Schaut mal her! Jetzt zeige ich euch ein Kunststück“, verkündet sie stolz und hält ihnen eine Palatschinke samt Pfanne vor die Nase. Dann schupft sie die Pfanne mit gekonnter Drehbewegung in die Höhe, sodass die Palatschinke einen Purzelbaum schlägt und wieder genau in der Pfanne landet. Die Kinderaugen werden immer größer. Ob die Vorfreude auf die süße Palatschinke oder die Freude über Omas Geschicklichkeit der Grund ist, lässt sich nicht so genau sagen. Oma jedenfalls strahlt über das ganze Gesicht.
© Gabriele_Krele-Art 2023-08-02