von Valerie Vonroe
Sie ist der Hit auf Netflix und wir können einiges von „Inventing Anna“ lernen. Nicht von dem Teil des Betruges, sondern von ihrer perfekten Selbst(er)findung. Sie hätte einen weit üblicheren Weg wählen können – einen reichen Amerikaner bezirzen und möglichst schnell heiraten. Kein Mensch hätte von Betrug gesprochen, ein Society Girl in teuren Designerklamotten an der Seite eines älteren Mannes, idealerweise ein Promi. Nach einigen Jahren erfolgt die Scheidung und sie wäre eine „gemachte“ Frau mit einem guten Sprungbrett für „Mehr“.
Aber Anna wollte es offensichtlich selbst schaffen, ihren eigenen steinigen Weg gehen. Sie hatte ein groĂźes Ziel und war auch bestens vorbereitet. Sie hat an sich geglaubt, ohne Zweifel und ich denke, das tut sie heute noch. Muss man sich genieren, wenn man reich ist?
Je stärker der Leidensdruck, desto mehr möchte man diesen entkommen. Für viele Menschen ist schon eine kleine Verbesserung ihrer Lebenssituation das Ziel. Anna hat uns gezeigt, dass wir uns selbst begrenzen. Rückwirkend betrachtet, war meine Vorstellung von „größer“ scheinbar erfüllt, oder ich traute mir mein wirkliches „Groß“ nicht zu. Ich gab mich mit diesem Mittelmaß plus zufrieden.
Wie viel Anna steckt in jedem von uns? Was sind wir bereit fĂĽr unsere Selbstoptimierung zu tun? Ihr Mantra: Erfinde dich selbst, es gibt keine Grenzen, auĂźer du setzt sie dir. Du kannst alles sein, jenseits von Herkunft und deren Zuschreibungen. Der groĂźe Unterschied liegt im Inneren und im Tun.
Sie wusste wie das Luxusleben funktionierte, wo man ist, was man trägt, sie war perfekt in Sprachen – weltgewandt. Sie war eine sehr hart arbeitende Betrügerin, ihr ist nichts in den Schoss gefallen. Sie wählte New York nicht zufällig, sie war bestens vorbereitet für ihren Weg in die High Society. Die Stadt bettelte darum, betrogen zu werden, hier betrügt jede jeden und alle sich selbst, jeder in New York will „Geld, Macht, Image, Liebe“. Nur die Wahrheit, die will hier niemand.
Grundsätzlich funktioniert die Sache mit dem großen Geld immer im gleichen Stil. Ein Mensch, eine Bank, eine Institution hat Geld, das Ziel ist dieses gut einzusetzen. Niemand kommt vorbei und schenkt einfach 100000 Euro her, aber er investiert mit dem Ziel auch sein Geld zu vermehren. Dieser Kreislauf birgt immer auch ein Risiko zu verlieren, so sind die Spielregeln. Anna soll rund 250.000 Euro ergaunert haben, so erschütternd ist die Summe nicht. Vor allem nicht im Finanzdistrict von Manhattan. Sie hat Banken und Superreiche betrogen, für die solche Beträge ein Nichts sind.
Sie war so gut, ich finde es fast verständlich, dass sie am Ende unersättlich wurde. Es gab keine Grenzen mehr für sie. Jeder möchte an das Geld anderer, das ist ein Grundprinzip. Es ist mehr als Mut, ohne einen Cent in der Tasche, aus einem deutschen Kaff kommend, sich als reiche Erbin zu präsentieren.
Genie und Wahnsinn liegt immer nah beieinander.
© Valerie Vonroe 2022-10-30