Die perfekte Scheidung

Bettina Nußdorfer

von Bettina Nußdorfer

Story

Ich konnte mich immer zu jenen Menschen zählen, die mit Wörtern wie “strukturiert”, “organisiert”, “möglichst fehlerfrei und perfekt”, “bestens vorbereitet” und “detailorientiert” seit mehr als 15 Jahren verheiratet war. Egal, ob es sich um die Arbeit, den nächsten Urlaub oder den Geburtstag eines Freundes oder meiner Eltern handelte, mich konnte man bereits ein halbes Jahr vorher fragen, ob ich denn eine Idee dazu hätte, was wir machen könnten. Und meistens war die Idee bereits bis ins kleinste Detail durchdacht, visualisiert und organisiert. Natürlich habe ich mir für das investierte Hirnschmalz und die vielen Stunden Anerkennung erwartet. Ich weiß nicht, ob ich stolz darauf war, so zu sein. Hatte ich bisher nie hinterfragt. Diese Eigenschaften mögen Segen und Fluch zugleich sein. Ich hatte es mir bereits in der Schul- und Studienzeit tätowieren lassen, dass mich Zielstrebigkeit, Durchhaltevermögen und Stressresistenz auf jeden Fall voran bringen im Leben. Auch las ich vorrangig in den Stellenanzeigen , dass solche Eigenschaften Grundvoraussetzung für den Eintritt in einen Job sind. Nun gut, nachdem ich all diese Voraussetzungen erfüllte, stand ja einer erfolgreichen Karriere nichts mehr im Weg.

Ich hatte durchaus desöfteren die Erfahrung gemacht, dass meine perfektionistische Ader ein brauchbarer Kollege im Job war. Wurde etwas ordnungsgemäß abgearbeitet, warf ich mich gleich auf das nächste Projekt. Möglichst perfekt und fehlerfrei, versteht sich. Man will ja gelobt und nicht kritisiert werden. Mit dieser Art und Weise meines Seins kam ich Jahre gut durch. Die damit verbundene Dauererschöpfung, Ausgebranntheit und depressive Stimmung tat ich als Zeichen von Schwäche ab.

Heute zähle ich mich zu den Menschen, die in Scheidung lebt. In Scheidung vom Perfektionismus – der Fehlerfreiheit, dem selbst auferlegtem Stress und dem selbstzerstörerischem Durchhaltevermögen. Ich habe erkannt, dass mich diese Getriebenheit nicht glücklich macht, sondern nur nach Vollkommenheit um jeden Preis streben lässt, die es nicht gibt. Um das zu erkennen, hatte ich keinen Geistesblitz. Diese Erkenntnis musste ich schmerzlich lernen in den letzten 1,5 Jahren. Keine Planung, keine Sicherheit, Flexibilität und Loslassen von altem Ballast – Trennungsschmerz deluxe. Heute habe ich viel bessere Partner an meiner Seite, die ich nun besser kennenlernen und mein restliches Leben verbringen möchte: Freiheit, Kreativität, Unvollkommenheit und Selbstliebe. “Ja, ich will – meinen eigenen Weg mit Leidenschaft gehen.”

„Perfektionismus ist der Glaube, dass wir, wenn wir etwas perfekt machen und perfekt aussehen, den mit Tadel, Beurteilung und Scham einhergehenden Schmerz verringern oder vermeiden können. Perfektionismus ist ein zwanzig Tonnen schwerer Schild, den wir mit uns herumtragen im Glauben, er werde uns schützen, während er uns in Wirklichkeit davon abhält, wahrgenommen zu werden.“ Brenè Brown

© Bettina Nußdorfer 2022-01-12

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