Es gibt viele Geschichten, die man nicht schreiben kann, und die GrĂŒnde dafĂŒr sind vielfĂ€ltig. Manchmal ist man dem Stoff nicht gewachsen, weder psychisch noch sprachlich. Anderes kann man nicht schreiben, weil die nötige Klarheit fehlt und einem alles noch wie in einem Nebel schwimmend erscheint. Manches wieder bleibt ungeschrieben, weil es vielleicht gar keine Geschichte ist, sondern zu kurz dafĂŒr, zu handlungsarm, vielleicht nicht pointiert genug. Und manches kann man nicht schreiben oder, besser gesagt, nicht mehr schreiben, weil es Wörter enthĂ€lt, die auf einer schwarzen Liste stehen, und weil man kaum korrekte und noch erlaubte Synonyme findet, wobei ich mir jetzt gerade, wo ich das schreibe, nicht mehr sicher bin, ob der Ausdruck âschwarze Listeâ nicht selbst lĂ€ngst auf einer schwarzen Liste steht.
So eine winzige Geschichte, die fast gar keine Geschichte ist, möchte ich erzĂ€hlen, obwohl ich es nicht tun dĂŒrfte. Es ist nur eine Episode aus meiner Kindheit, die mir aber deutlich in Erinnerung geblieben ist.
Ich hatte als kleines MĂ€dchen, als ich noch gar nicht in die Schule ging, eine schwarze Puppe, die man damals genau so nannte, wie man sich vorstellen kann, dass sie damals genannt wurde. Ich hatte viele Puppen, auch schönere und gröĂere, aber diese etwa 20 cm groĂe Gummipuppe war eine meiner liebsten, vielleicht weil sie so exotisch war, denn sie hatte aufgemalte Kraushaare, dicke rote Lippen und ein zerfleddertes Baströckchen als einziges KleidungsstĂŒck, erfĂŒllte also alle damals gĂ€ngigen Klischees perfekt. Man konnte die Puppe zusammendrĂŒcken und sie nahm doch wieder ihre Form an, und dieser Umstand war es auch, der ihr quasi das Leben rettete.
Mein GroĂvater nĂ€mlich, der Musiklehrer war und auch der GrĂŒnder und Leiter der Blasmusikkapelle in meiner Heimatgemeinde, hatte einen Musikerkollegen, der in der Kapelle Trompete blies und daher manchmal zu uns ins Haus kam. Dieser sehr kleine, rotgesichtige und dickliche Mann mit einem unschönen Familiennamen hatte die Angewohnheit, meine schwarze Puppe und nur diese, wenn ich wie so oft auf dem Boden spielte, zu treten, ja geradezu voll auf sie draufzusteigen, sodass ich die Puppe nach einigen dieser VorfĂ€lle wegrĂ€umte, wenn er kam. Mir fiel natĂŒrlich auf, dass er den anderen Puppen nichts tat, aber ich wusste nicht, warum er nur diese eine nicht mochte, die ich so besonders gern hatte. Meine GroĂmutter hat die VorfĂ€lle nicht bemerkt, denn er hat es sicher so geschickt gemacht, dass niemand es sah. Ich sagte es auch keinem, vergaĂ es aber nie.
Viele Jahre spĂ€ter erzĂ€hlte ich meiner GroĂmutter davon und sie sagte, das wundere sie gar nicht, denn der damals bereits verstorbene J. sei im Krieg ein gefĂŒrchteter KZ-Aufseher gewesen und sie habe ihn auch nie leiden können.
Warum sollte man diese Geschichte nicht schreiben dĂŒrfen? So hat meine schwarze Puppe immerhin ein ganz kleines Denkmal bekommen, auch wenn ihre ganze Existenz an sich politisch nicht korrekt war.
© 2022-04-15