von Hanspeter Gsell
Als ich zusah, wie sich Pascal (7) sein Käsebrot mit einer dicken Schicht Himbeerkonfitüre bestrich, ahnte ich Schreckliches: Ich hatte als Erzieher versagt, mein Sohn entpuppte sich als gastronomischer Tiefflieger! Sein Urgroßvater, Käser in der Bonau, hätte sich in seinem Grab umgedreht, hätte er damals bereits gewusst, was sich sein Urenkel 30 Jahren später auf seinen Emmentaler streichen würde. Da brauchte er Wochen, Monate oder gar Jahre, bis sein Käse zur perfekten Reife gealtert war. Und dann kommen solche Ignoranten und zerstören sein Werk in Sekunden.
Natürlich ist es keine ordinäre Konfitüre, die man heute zum Käse serviert. Das dubiose Machwerk kolonialer Herkunft nennt sich Chutney („Tschatni“) und stammt ursprünglich aus Indien. Die würzige, mal süß-saure oder auch pikante Soße harmoniert perfekt mit scharfen Currys. Die Engländer, bereits im 19. Jahrhundert berühmt für ihre ausgezeichnete Küche, adoptierten das tropische Mus um ihre unwiderstehlichen englischen Gerichte auch für Menschen genießbar zu machen. Mit Chutneys aus Mangos, Papayas, Feigen, Pflaumen und andern Früchten aus ihren Kolonien.
Einen Emmentaler mit einem Pflaumenchutney zu „verfeinern“ ist ein Sakrileg, ein Angriff auf den guten Geschmack. Wer einen reifen Brillat-Savarin, diesen wunderbaren Käse aus Frankreich, mit einem Dattel-Kiwi-Mango-Chutney zudeckt, ist von allen guten Geistern verlassen. Und wer den unwiderstehlichen Brie de Meaux mit einer Honig-Kokos-Tamarinden-Melasse serviert, der wird nie Einlass in den Käsehimmel finden und sollte ausgeschafft werden. Da jedoch kein Land solche Verbrecher wider den guten Geschmack aufnehmen wird, werden sie wohl direkt in der Hölle landen. Dort wird sie der römische Feldherr Lucius Licinius Lucullus, genannt Lukullus, mit absonderlichen Speisen wie Käsescheiben, Schmelzkäse mit Schinkenaroma sowie Dosenfondue in seinem höllischen Caquelon zu Tode foltern.
© Hanspeter Gsell 2021-07-11