von Mela Storm
Ich bin genervt, als die Menge mich Richtung Einkaufstraße schiebt. Vor mir eine Truppe, die aussieht wie eine Mischung aus Siebziger und Irrenanstalt, Trillerpfeifen und Hossagesänge inklusive. Fantastische Idee am Schlagermovesamstag in die Innenstadt zu fahren. „Über den Wolken“, singt eine Frau mit quietschgelber Perücke. Ja, da wäre ich jetzt auch gerne. Schweißgebadet komme ich endlich im Geschäft meiner Wahl an und kämpfe mich bis zu den Abendkleidern vor. Lässig ignoriere ich Größe 44 – nicht mit mir – und häufe mir Kleider in 40/42 über den Arm. Nach einer halben Stunde anstehen an der Umkleide (begleitet von einem schrillen: „Es dürfen nur drei Teile mit in die Kabine“) lasse ich mich erschöpft auf das winzige Bänklein sinken, das eindeutig für Gnome aus dem Wald angefertigt wurde. Unter meiner Jacke ziehe ich fünf eingeschmuggelte Kleider heraus und mache mich nackig. Die Neonbeleuchtung schmeichelt meiner Cellulite. Der Pony klebt an meiner Stirn, derweil ich ein Kleid nach dem anderen verwerfe. Jetzt bleibt nur noch das leuchtend blaue, strassbesetzte Etuischlauchding – meine letzte Hoffnung – in das ich mich ächzend hineinquetsche. Wenn ich an heute Abend denke, dreht sich mir der Magen um. Auf der Firmenparty muss ich besser aussehen als „Ich-habe-mal-eine-Misswahl-gewonnen-kack-Gaby“. Verdammt, wie bekomme ich meine Arme in diese Schlauchteile namens Ärmel? Okay, ich bin drin. Nun noch der Reißverschluss. Stöhnend, weil ich jetzt schon kaum Luft bekomme, stolpere ich vor die Kabine und bitte eine Verkäuferin, die aussieht, als sei sie gerade aus der Grundschule raus, um Hilfe. Sie keucht laut, während sie den Verschluss Stück für Stück schließt. Die jungen Dinger von heute haben aber auch keine Kraft mehr. Ich ziehe den Bauch ein und nehme mir vor, nie wieder zu atmen. Wird schon gehen. Mein Blick fällt auf den Spiegel. Mir kommen verschiedene Assoziationen zu meinem Anblick in den Kopf. Ganzkörperglitzerraupe ist noch eines der netteren. Plötzlich gellt eine Sirene, Menschen schreien. Feuer! Bestimmt nur Fehlalarm. Oder? Es riecht komisch. Wie Wurst in Pelle tripple ich glitzernd und in Ringelsöckchen zurück zur Umkleide. Schnell raus aus dem Raupending, denke ich, als mir klar wird, dass ich es unmöglich alleine ausziehen kann. Hektisch sehe ich mich um, als das Grundschulkind mich am Arm packt und mit sich reißt. „Ich will das ausziehen“, schreie ich, als mir eine Feuerwalze die Haare versengt und ich hinfalle. Scheiße! Das Kind reicht mir die Hand und ich versuche meinen Astralkörper hochzuziehen. Stattdessen reiße ich das Leichtgewicht zu Boden. „Wir werden sterben“, wispert sie und erinnert mich an ein Reh, das, gefangen im Scheinwerferlicht, auf den Tod wartet. „Nein!“ Ich greife ihre Hand, robbe bäuchlings über den Holzboden und ziehe sie hinter mir her. Hossa, heute feiern wir, keiner stirbt. Um uns rum lodert ein Feuer, und ich bin die Raupe, die sich bald in einen wunderschönen Schmetterling verwandeln wird. Kurz bevor wir den Ausgang erreichen platzt das Kleid. Endlich, ich bekomme wieder Luft. Minuten später stehe ich Hand in Hand mit dem Grundschulkind vor dem Geschäft und starre in das Feuer. „Das Kleid dürfen Sie gerne behalten“, flüstert sie. Eine Menschenmenge läuft vorbei und singt „Fiesta Mexicana, heut gebe ich zum Abschied für alle ein Fest.“ Ich stimme mit ein und tanze. Ich – der glitzernde Schmetterling.
© Mela Storm 2025-03-10