Die Raupe, die fliegen wollte

Isi Dora

von Isi Dora

Story

Ich wär so gerne leicht und würd was Lustiges schreiben, aber…

…wie schnell man sich an unfassbare Zustände gewöhnt, merkt man, wenn man „normale“ Bilder in einem Film oder auch nur auf Fotos zu sehen bekommt. Sogar die 6- und 8-jährigen Jungs erkennen sofort: „Mama, das darf man doch gar nicht!“ – auf Partybildern von Miami. Schockierend, wenn man sieht, wie beim Feiern in einem Film eine Flasche Sekt oder Bier weitergereicht wird. Die ganze Zeit denkt man sich, das geht doch nicht, die stecken sich ja alle an!

Normalität innerhalb von ein oder zwei Wochen – ist alles schon normal für uns? Die allerorts verfügbaren Spots und sich ständig wiederholenden Erinnerungen an die Distanz, die notwendig ist zwischen uns, um uns nicht anzustecken. Sind wir so banal, dass uns das alles gar nichts ausmacht, wir es einfach hinnehmen oder irritiert es uns dann doch irgendwo?

Mich verfolgt die Angst bis in die Träume. Obwohl ich eigentlich gar keine hatte. Ist doch eh nur wie ein Infekt. Über 80 % merken gar nichts oder haben kaum Symptome. Mittlerweile sind wir so isoliert, dass die größte Sorge im Fall des Falles den Kindern gilt. Wer würde sich im Notfall kümmern? Die Großeltern fallen ob ihres Alters aus. Jeder andere hat selber Kinder und würde nicht riskieren, selbst zu erkranken. Am besten man denkt darüber gar nicht mehr nach. Isoliert sich noch mehr.

Hier am Land nehmen ziemlich alle die Maßnahmen ernst. Man sieht kaum Leute und wenn, dann machen sie einen Bogen um einen. Nicht mal Zaungespräche kommen zustande, die Polizei patrouilliert durch die Siedlung und vermittelt ein mulmiges Gefühl, obwohl man sich penibel an alle Vorschriften hält. Mir schnürt der Gedanke, nicht verreisen zu dürfen, die Luft ab, obwohl ich doch eigentlich gar nicht gerne verreise.

Die Zeit steht unheimlich still. Alles dauert ewig. Und die erste Schulwoche daheim war anstrengend wie ein vielfaches der realen Zeit, gefüllt von Adrenalin, vom ständigen Gefühl an mehreren Fronten gleichzeitig sein zu müssen. Meine Bewunderung und Hochachtung für alle Pädagogen steigt ins Unermessliche.

Zerrissenheit, Verzweiflung, Angst – das Gefühl zu haben, eine Prüfung steht bevor, doch man weiß nicht, wann sie genau sein wird und was der Stoff für sie ist. Dabei will man doch zuversichtlich sein, dass die Kinder herunter kommen und sich sicher fühlen können. Will den Spagat zwischen eigener Unsicherheit und ihrer Sicherheit schaffen. Doch sie spüren es, alles ist im Umbruch und der Zeitpunkt, wann sie ihre geliebten Großeltern, Cousinen, Freunde, Lehrerinnen etc. wieder sehen dürfen, ist in ungewisser Ferne.

Ich will versuchen, die Zeit zu genießen, die Sonnenstrahlen in mein Herz lassen und das alles als spezielle Familienzeit wahr zu nehmen. Immerhin geht es uns doch wirklich gut! Ich will diese dunklen Gefühle abschütteln und leicht sein, doch die Schwere zieht mich nach unten.

Ich würd so gerne leicht sein, flattern wie ein Schmetterling in der Frühlingssonne.

© Isi Dora 2020-03-21

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