Die RealitÀt gibt es nicht

Lia Rufer

von Lia Rufer

Story

Ich glaube, da stimmt etwas nicht mit mir. Meine Gedanken werden vom Winde verweht, meine PrĂ€senz ist nur flĂŒchtig. Ich bekomme alles um mich herum mit, trotzdem bleibt nichts bei mir. Es ist wirr, dunkel und ich fĂŒhle mich allein. Ich gehe zu dir, bitte dich um Hilfe. WĂ€hrend ich spreche, brechen mir die Worte immerzu ab. Ein Satz gehetzt von einem Neuen, jedoch keiner vollendet. Es fĂ€llt mir schwer im Moment zu bleiben, so wie du. Du stehst da, hörst mir zu, siehst mich an. Du meinst, das haben alle ein bisschen so. Nichts, worĂŒber man sich den Kopf zerbrechen mĂŒsste. Bleib einfach weiter am Ball.

Also bin ich am Ball geblieben. Manchmal rollte er weg in hohe GrĂ€ser und tiefe WĂ€lder. Manchmal verlor er sich im rauschenden Meer, wo er Bekanntschaft mit den buntesten Korallen und gruseligsten Fischen machte. Manchmal hĂŒpfte er auch nur auf der Stelle. Auf und ab und auf und ab. Nach jedem Aufprallen erklang ein quietschendes boing. Aber ich bin immer am Ball geblieben, bin im gefolgt, hab gesehen, was er gesehen hat. Doch ich glaube, ich habe mein Ziel verfehlt, wo sollte mich der Ball hinfĂŒhren? Jetzt bin ich wieder bei dir, was soll ich jetzt tun? Der Ball hat mich in die Irre gefĂŒhrt. Du stehst wieder da, hörst mir wieder zu, siehst mich wieder an, diesmal etwas unglĂ€ubig. Du bist nicht am Ball geblieben, sagst du mir, du hast einfach gemacht, was du wolltest. Ich schrecke etwas zurĂŒck. Reis dich zusammen und dann geht das schon. Du lĂ€chelst aufmunternd. Ich lĂ€chle zurĂŒck und nicke leicht.

Nach unserem GesprĂ€ch bin ich losgegangen und habe mich zusammen gerissen. Wie ein Papier, das nach einer missglĂŒckten Zeichnung zerrissen wird. Zerrissen, zerrissen, geschmissen. Ich habe die Schule geschmissen, dann habe ich mich zusammen gerissen. Was ist das dort fĂŒr ein Kissen, woher soll ich das Wissen? Schlafen, schlafen, nicht mehr fragen. Baum und Stamm, die muss man sagen. Brot und KĂ€se werde ich tragen. Denn die Anna geht jetzt baden. Ich schaue plötzlich auf die Uhr, dann aus dem Fenster, dann auf mein Blatt. Viertel nach Mitternacht, dunkel, leer. Ich gehe ein letztes Mal zu dir. Ich erklĂ€re dir, was passiert ist. Dass ich mich zusammenreißen wollte, aber irgendwie hat auch das nicht funktioniert. Meine Gedanken wurden immerzu vom Winde verweht und meine PrĂ€senz war immer nur flĂŒchtig. Wieder stehst du da, wieder hörst du zu, wieder siehst du mich an, sauer, diesmal, genervt. Denkst du nicht, dass du dir das alles nur selbst einredest, fragst du. Es ist nur in deinem Kopf, wenn du nicht so faul wĂ€rst, dann hĂ€ttest du es schon lange geschafft. Es fĂŒhlt sich an, als ob du mir eine verpasst hĂ€ttest. Ich nicke, aber ich lĂ€chle nicht.

Es ist alles in deinem Kopf, es ist alles in deinem Kopf, du hast nichts. Du bist einfach faul und es stimmt einfach etwas mit deiner Einstellung nicht. Aber ich wollte doch am Ball bleiben. Überall hin bin ich ihm gefolgt. Und ich habe mich doch zusammengerissen. Aber habe ich mich wirklich zusammengerissen oder dachte ich nur, ich hĂ€tte es getan, damit ich mich jetzt besser fĂŒhle? Ich wollte wirklich meine Ziele erreichen. Aber es ist alles nur in meinem Kopf. Ich habe nichts. Ich bin gesund.  


© Lia Rufer 2024-11-14

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Romane & ErzÀhlungen
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