von Horst Sammet
Unseren früheren örtlichen Bäcker, Herrn Josef Reicheneder, durfte ich noch persönlich kennenlernen.
Durch meinen Beruf als Briefträger konnte und durfte ich in Räume gehen, die sonst für Fremde tabu waren. Da ich ja selbst einmal das Bäckerhandwerk erlernt habe, meinte der “Sepp” als ich es ihm erzählt habe: Kannst gleich bei mir anfangen, denn mein Geselle Franz ist auch nicht mehr der Jüngste und eine neue Kraft wäre nicht schlecht für uns.
Ich bedankte mich für dieses tolle Angebot, sagte aber ab, denn meine Arbeit bei der Post war mir doch lieber und zu Hause backe ich ja nach wie vor.
Schade, meinte Sepp, da kann man nichts machen und schenkte mir zwei seiner berühmten Semmeln. Es war eine große Ehre und etwas ganz Besonderes diese Semmeln geschenkt zu bekommen, denn samstags standen die Leute deswegen Schlange und bekamen oftmals keine.
Der Sepp vertrat die Meinung: An die Menschen, die mir fremd sind, verkaufe ich keine meiner Semmeln. Da könnte ja ein jeder daherkommen! und so mussten die aus München extra Angereisten unverrichteter Dinge wieder heimfahren, ohne in den Genuss dieser Köstlichkeit zu kommen.
So vergingen die Jahre, der Bäckergeselle Franz verstarb und der Sepp hat seine Bäckerei zugesperrt. Wenn ich täglich mit der Post bei ihm vorbeikam, sass er immer in seiner Bäckerkleidung am Tisch, vor sich eine Zeitung und eine Tasse Kaffee. Die Semmeln oder das Brot holte er sich jetzt vom Bäcker aus dem Nachbarort, denn für sich alleine den Backaufwand zu betreiben wäre zu kostspielig. Er freute sich aber jedesmal über mein Kommen, denn ich nahm mir auch die Zeit, ein paar Worte mit ihm zu wechseln.
Leider gibt es den Sepp nun auch nicht mehr, die Gemeinde hat das Haus gekauft und nach Jahren des Leerstands wegen Baufälligkeit abreissen lassen.
Nur eines habe ich leider nicht gemacht, den Sepp nach seinem Semmelrezept zu fragen. Das hat er nämlich mit ins Grab genommen, denn niemand, der ihn kannte, hat es. Schade und zu spät!
Also gehe ich selbst einmal ans Werk und trotz mehrfacher Versuche habe ich immer noch nicht die genaue Geschmacksrichtung gefunden, aber immerhin stimmen schon einmal die Größe und die Farbe der Semmeln.
Einen Namen habe ich dem Backwerk aber schon gegeben. Ich nenne sie die “Reichenederinnen” als Wertschätzung für den Sepp. Diese Semmeln werde ich jetzt meinen Bauchtänzerinnen präsentieren, von denen einige den Sepp auch noch kannten und so lebt eine Legende im Ort weiter.
Irgendwie ist es schon merkwürdig, wenn ich nach dem Rezept gefragt werde, passiert es mir immer öfter, dass ich sage “Oh, das habe ich ganz vergessen”.
© Horst Sammet 2021-11-17