von Grendel
Mein lieber Jonathan!
Es tut mir aufrichtig leid, dass du mich bei unserem vereinbarten Treffen gestern Abend nicht in meiner Wohnung vorgefunden hast. Ich war nicht vor Ort, da ich es nicht erwarten konnte, endlich die Anrufung aus dem Buch Ylg’g-Ur zu vollziehen, zu dem uns unbekannten Planeten zu reisen und seine Geheimnisse zu entdecken.
Als ich nach dem Ritual meine Augen wieder öffnete, fand ich mich auf den Dünen aus rotem Sand, der sich leicht flüssig anfühlte, des Planeten Ylg’g-Ur, die von dessen schwarzer Sonne erhellt wurden, wieder. Meine unglaubliche Begeisterung über meine ersten Schritte auf diesem Planeten war allerdings nur von kurzer Dauer und wich schnell dem rasenden Gefühl der Panik, da es sich, wie erst von mir angenommen, nicht um einen unbewohnten Planeten handelte. Ich habe es geschafft, mich den hier ansässigen Lebewesen, die mich aus mir unbekannten Gründen nicht wahrzunehmen scheinen, zu nähern.
Jonathan, diese Wesen sind so ekelerregend und angsteinflößend, dass ich mit mir ringen muss, sie dir überhaupt zu beschreiben. Dennoch werde ich es versuchen, selbst wenn es nur der Aufzeichnung dient, sollte mir etwas zustoßen und ich nicht mehr zurückkommen.
Ihren Körper zu beschreiben ist nicht möglich, da sie in schmutzige, zerfetzte schwarze Roben gehüllt sind. Ich denke, dass sie sich schwebend fortbewegen, da sie im Sand, anders als ich, keine Abdrücke hinterlassen. Dort, wo ihre Augen sein müssten, blickt man in leere Höhlen, bei denen man das Gefühl hat, sie würden einen in den Abgrund ziehen, und anstelle eines Mundes haben sie Cheliceren, die an die Arachniden unseres Planeten erinnern. Doch das Abscheulichste an diesen Wesen ist das entblößte Gehirn an ihrem Hinterkopf, das auf eine ekelerregende Weise pulsiert, wenn sie in ihrer eigenartigen Sprache kommunizieren. Es ist mir unklar, wie ich diese verstehen kann, wo sie doch nur Melodien aus Brummen, Klicklauten und Summen erzeugen, die auf eine unnatürliche und unerklärliche Weise Worte bilden. Doch sie unterhalten sich über lang vergangene Zeiten, in denen sie auf der Erde waren und mit den damals dort lebenden Menschen in grauer Vorzeit Handel betrieben haben.
Abschließend bleibt mir nur übrig, dich zu bitten, zu meiner Wohnung zu kommen, sobald du diesen Brief gelesen hast. Ich muss dich bitten, das Ritual für meine Rückreise vorzubereiten, das ich dir in meiner Wohnung am Schreibtisch genau beschrieben hinterlassen habe.
Kasimir
Das war der Brief, der an einem Montagmorgen vor meiner Haustüre auf dem Boden lag, wo ihn sicherlich kein Briefträger hinterließ, und mit welchem ich zur Wohnung meines Bekannten Kasimir eilte. Dort angekommen fand ich eine geöffnete Wohnungstür vor und noch bevor mich der Polizeibeamte im Flur aufhielt, konnte ich in der Wohnung, am Boden vor dem Schreibtisch, die verkohlten menschlichen Überreste auf einem Bett aus rotem Sand sehen.
© Grendel 2025-07-19