von 7onder
Die Füße im kühlen Sand vergraben hat bislang immer geholfen, warum gerade heute nicht? Egal wo sie versucht sich festzuhalten, ihre Gedanken hören nicht auf sich zu drehen. Sonne! Egal was war, ein bisschen sonnen hatte ihr bis heute jeden Kummer vertrieben. Sie liegt, Sonnenbrille auf, perfekte Bedingungen – keine Ruhe im Kopf. Unrund. Sie strampelt genervt im Sand herum bis sie angesteift erstarrt. Sie gibt auf, als sich die Sonne ihren schwachen Beinen ergibt, als sie sich nicht mehr am Himmel halten kann.
“Langer Tag, hm?”, Der Berg spricht zu ihr. “Gerade du solltest es wissen, großer Stein. Jeder Tag ist gleich lang.“ – „Sagst du das, weil du es weißt oder weil du es fühlst?“ – „Ich muss jetzt wirklich mein Zelt aufbauen. Heute kommt ein Sturm auf! Tut mir leid.“ – „Melde dich, wenn du was brauchst.“ – „Du netter Stein, du. Ich habe schon viele Stürme überstanden, tu dir nichts an.“ Sie liegen noch herum, schauen Sternschnuppen. Mit den ersten Regentropfen ziehen sie sich zurück. „Gute Nacht.“ – „Gute Nacht.“
Wind wie Wellen, Wellen im Wind, manche zerbrechen an ihrem Zelt, andere zerbrechen fast ihr Zelt. Immernde Nacht, ihre Tränen klingen so stumm im wilden Regen. Unbedeutend am Strand, sie wie ein Kiesel, aber die Gefühle sind groß. Selbst im Schutz des Zeltes ist es dunkel und selbst der Schutz gibt dem Nass nach. Sie muss jetzt sterben. Ihre Angst wird nicht lang tot bleiben, aber irgendwas in ihr wird riesig. Plötzlich ganz groß, alle Energie gesammelt, sie bricht nach außen, bereit zum Kämpfen, geballte Fäuste, brüllend, zugekniffene Augen – der alles ändernde Sprung nach außen. Und dort?
Nichts. Und mehr als sie erwartete. Helllicht. Eine warme Briese. Plätschern wie Gesang. Schwarze Schafe. Hier heißt sie sich selber endlich willkommen. Duft von Freiheit, erinnert sie an die Zukunft. Vögel zwitschern, Wasser plätschert, alles sieht anders aus. Sonnen am Strand, der Wind streichelt durch ihre Haare, wie durch die Wiese, er setzt keinen Unterschied. Mit dem Genießen der Ruhe feiert sie ihre erkämpfte Kraft. Mit der Kraft kehrt auch das Kitzeln in den Fersen zurück, das ganz rasch zu einem Sitzen auf Nadeln wandelt. Sie packt ihre Sachen, zieht weiter. Sie will noch den Berg besuchen, noch mit ihm plaudern, doch wo er gestern noch stand findet sie nur einen gelben, summenden Kiesel. Sie packt ihn in ihre Brusttasche, nimmt den nächsten Bus zurück in die Zivilisation.
Mit ihrer Rückkehr ist wieder alles gleich. Sie fühlt sich drei Meter größer, nur ist alles andere wie stehen geblieben und eben nun viel zu klein für sie. Sie ist eingeengt, sie passt hier nicht mehr her. Das Puzzlestück war von Anfang an gequetscht, jetzt nicht mehr quetschbar. Sie packt sich erneut zusammen und geht wieder auf eine Reise, diesmal im Kopf. Der erste Schritt tut gut, der zweite, ein Summen in der Brusttasche, der dritte, eine Nachricht am Handy.
„Hey, Ausreißerin! Hab gehört du bist zurück. Erzählst du mir bei einem Kaffee wie es war?“
© 7onder 2021-12-06