Sie hatte einen Würstlstand am wunderschönen Franziskanerplatz in Graz. Es hatte Flair – und soziale Zusatzfunktionen. Wie Friseure ja auch.
Dies ist eine Geschichte vom “alten” Graz. Ich habe da studiert, aber damals kannte ich nur das “junge” Graz. Als ich dann, nach vielen Irrungen (Ohrringen hat Google vorgeschlagen.) und Wirrungen, der Liebe wegen wieder nach Graz zurück kam, lernte ich das “alte” Graz kennen. Es ballte sich um den Franziskaner Platz herum in einer unglaublichen Dichte, die mir sehr gefiel. In Salzburg, wo ich 7 Jahre wohnte, gab es das nicht. Salzburg war Bühne. Graz war das pralle Leben. Sogenannte Einheimische soweit das Auge reichte und das Ohr lauschte. Und ich war plötzlich mitten drin.
Abends, wenn ich mein Schpotzl von der Arbeit abholte, war der Franziskanerplatz voll. Da standen sie alle, ein Achterl oder ein Bier linker Hand, Zigarettl rechts. Moden Müller-Verkäuferinnen neben Steiermärkische Bank-Buben, Schaufensterdekorateurinnen der eleganten Innenstadtgeschäfte neben ehemalige Sturm- & GAK-Granden. Gemeinsam ließen sie ihren Tag ausklingen. Der Wirt, der ihnen dabei zur Hand ging, war selbst eine lebende Legende und hieß, seinem eigenen politischen Bekenntnis zum Trotz, Karl Marx. Das alles war damals möglich.
Über Strafmandate für Falschparken o.ä. wurde herzlich gelacht. Keiner aus der Runde hat jemals so einen Wisch ernst genommen geschweige denn bezahlt. Man brachte ihn zum fröhlichen Tagesausklang mit, eine Politesse, heißt übersetzt ca. Freundlichkeit, sammelte sie ein, so auffällig, wie das heute im Stadtpark mit Drogen passiert. Ohne Schenierer. Graz, Hauptstadt von Balkanien. Aber durchaus sympathisch. Ich war so fassungslos wie fasziniert.
An lauen Sommerabenden wurde der Franziskanerplatz zum Gastgarten, ohne Mobiliar. Man stand entlang der Mauern, die Gläser in den Fenstersimsen. Karl Marx, immer mit einem weißen Geschirrtuch über dem Arm und in leichter Vorlage, zog beständig seine unsichtbare Spur von Glas zu Glas, auf dass man in keinem je den Boden sah (Präsens: Boden see. Wenn ich vom Glas den Bodensee…was tunlichst zu vermeiden war.).
Wenn die Tage kühler wurden, so sorgte ein zweiter Karl dafür, dass es nicht allzu grimmig wurde bei diesen Open Air Veranstaltungen. Er brachte einfach seinen privaten Maroni-Ofen mit, dazu auch die Erstversorgung, und allen wurde warm ums Herz. Man stelle sich sowas in Salzburg vor!
Und jetzt zur Reiter-Mami. Wegen Herz und warm. Sie hatte einen Riesentopf für ihre Frankfurter Würschtln und erklärte den zahlreichen Lehrlingen, männlich, weiblich und divers, die sich im Laufe der Jahrzehnte bei ihr günstig den Magen füllten, mütterlich-ausführlich, wie sie daheim die Würstchen richtig sieden müssten, damit sie NICHT aufplatzen. Daneben hatte sie immer einen Bottich mit absichtlich aufgeplatzten Exemplaren, die sie ggf. verschenkte. Burli, kumm her…
Mein Burli mag seither nur „die mit Reißverschluss”.
© 2022-03-10