von Hannes Glanz
Über zwei Jahre später steht meine Teekanne noch immer bereit, wenn ich in meinem Salzburger Lieblingshotel zum Frühstück komme. Die Kellnerinnen wechseln, das Behältnis für meinen Earl Grey bleibt gleich. Diesmal ist es Frau Jacqueline, die mich lächelnd mit „Hallo Herr Glanz, Ihr Tee kommt sofort!“ willkommen heißt. In der Zwischenzeit bediene ich mich am feinen Buffet und nehme gleich darauf mit einem zufriedenen Seufzer an meinem Lieblingstisch Platz.
Plötzlich dringt aus Richtung der Bar ein Klirren an mein im nächsten Augenblick entsetztes Ohr, gefolgt von einem langgezogenen „Maaaaahhh!“ Nicht viel später erscheint Frau Jacqueline wie üblich mit dem kleinen Tablett, doch ihr betretenes Gesicht verheißt Unheil, das auch sogleich sichtbar wird: Auf der von mir so geliebten geblümt-bauchigen Teekanne sitzt an Stelle des Deckels eine schnöde Untertasse.
„Sie ist mir hinuntergefallen“, gesteht die sonst so fröhliche junge Dame mit leiser Stimme ihr Missgeschick ein. „Ich hoffe, es geht auch so.“
Auch wenn mich die Wehmut ein klein wenig sticht, soll mir im Leben doch nie Schlimmeres widerfahren als zerbrochenes Porzellan. Sohin nicke ich Frau Jacqueline lächelnd zu, sehe aber, dass meine Worte „Der Tee schmeckt deshalb gleich gut“ nur ein schwacher Trost für sie sind.
In mein Frühstück und die Salzburger Nachrichten vertieft, bemerke ich den älteren Mann erst, als er neben mir steht und Frau Jacqueline breit angrinst. Das orange Kamel auf seiner ärmellosen Jacke weißt in als Angestellten des Hotels aus. Er hält seiner Kollegin die linke Wange hin und sagt mit leichtem Akzent: „Jetzt bekomme ich aber einen Kuss!“ Gleichzeitig öffnet er seine rechte Hand – darauf liegt der geblümte Porzellandeckel einer Teekanne. „War im Keller.“
Frau Jacqueline schenkt ihm die verdiente Belohnung und nimmt danach erleichtert die hässliche Untertasse von der Teekanne. Der helle Klang, als sie den Deckel einsetzt, ist Mozarts würdig.
Manche Dinge halten doch länger, als man gemein glaubt. Wie das Symbol echter Gastfreundschaft.
© Hannes Glanz 2020-01-15