Die Rock-Zopf-Fraktion

MiAMi

von MiAMi

Story

„Dir stehen Röcke wohl nicht, Lisa!“

Meine Zeit an der konservativsten, fundamentalistischsten und sektenartigsten Schule begann mit diesem Satz. Ich stehe mit meinen 10 Jahren am Anfang der fĂĽnften Klasse einem Haufen Mädchen gegenĂĽber, die alle den gleichen Rock, die gleichen Schuhe und die gleiche Frisur tragen. Während meine Haare grundsätzlich mithilfe eines Topfes abgeschnitten wurden, hatten diese Mädchen, die ich nun Klassenkameradinnen nennen sollte, lange geflochtene Zöpfe, die fast so lang waren, wie ihre Röcke. In meinen bunten Röhrenjeans fiel ich sofort auf und damit als Rebellin ins Visier der ebenfalls Rock-Zopf-tragenden Lehrerschaft. Es dauerte bis ich ein paar wenige Leute fand, die mir ähnlich waren und als FreundInnen infrage kommen wĂĽrden. Die meisten von ihnen waren Jungs. Damit fiel ich dann wohl gleich wieder auf. Einen Jungen zur BegrĂĽĂźung in den Arm zu nehmen, konnte an meiner Schule dazu fĂĽhren, dass man zur Vertrauenslehrerin zitiert wurde. Den Vortrag ĂĽber die Bestimmung von Mädchen und Jungen und ihre Aufgaben im Leben, sowie was sie zu tun und zu lassen hatten und unter welchen Umständen, sie sich umarmen durften, nämlich frĂĽhstens nach der Heirat, höre ich heute noch. Als eine der wenigen Mädchen, die sich nicht immer an die Regeln gehalten haben, verbrachte ich wohl die meiste Zeit meiner Schullaufbahn im Trainingsraum. In diesen Raum wurde man geschickt, wenn man gegen eine der absurden Verhaltensregeln verstoĂźen hatte. Dort musste man dann einen Zettel ausfĂĽllen, aus dem hervorging, was man falsch gemacht hatte und wie man nun gedenkt, um Vergebung bei dem Lehrer zu bitten, der einen reingeschickt hatte. Mein erster Besuch dort war zu Beginn der fĂĽnften Klasse, als ich zu lange aus dem Fenster geschaut hatte und mich nicht auf den Unterricht konzentrierte. Ich war sehr glĂĽcklich, wenn ich mal auf einen Geburtstag der Rock-Zopf-Fraktion eingeladen war, weil ich dachte, nun von ihnen akzeptiert zu werden. Heim geschickt wurde ich allerdings immer mit ein paar Flyern, die mir erzählten, wie sĂĽndhaft ich lebe und wie ich nun mein Leben ändern könne, um zu ihnen zu gehören. Da ich mich nicht änderte, wurde ich auch schon bald nicht mehr eingeladen. Ich schlug mich so durch, ein Tadel folgte dem nächsten. Als ich mich einmal in der 10. Klasse während des Unterrichts im Klassenschrank versteckte und erwischt wurde, wurden meine Eltern zum Direktor zitiert. Da saĂźen wir nun alle, aufgrund dieser absurden Situation im BĂĽro des Direktors und ich hörte mir von ihm und unserem Stufenleiter an, wie schlimm ich war und rebellisch und ĂĽberhaupt unhaltbar fĂĽr die Schule. So wurde ich gefragt, was nun zu tun sei, was ich denke, was meine Bestrafung sein könnte. Ich antwortete, in der Sicherheit, dass meine Eltern immer hinter mir stehen wĂĽrden: „Das hier ist doch eine christliche Schule, wie wäre es dann mit Vergebung?“. Die beiden erwachsenen Männer starrten mich fassungslos an und mussten sich geschlagen geben. Meine Mutter erzählt diese Story noch heute jedem und ich glaube, ich habe sie nie stolzer gemacht, als in diesem Moment. Meine Zeit mit der Rock-Zopf-Fraktion endete, als ich in der 11. Klasse endgĂĽltig gebeten wurde, die Schule zu verlassen.

© MiAMi 2024-02-22

Genres
Romane & Erzählungen, Biografien
Stimmung
Emotional, Komisch